Das Credo des Verschütteten

Sturm auf den Philippinen. Im Vorfeld der erwarteten Katastrophen dachte ich immer: „Wenn das eintritt, dann ist Ende“. Weiter ging die Vorstellungskraft nicht. Jetzt ist die Katastrophe da, aber es geht weiter. Da sind Tote, da ist Zerstörung. Da sind Hunger und Obdachlosigkeit. Da sind Plünderungen und Bandenbildung. Bald beginnen die Seuchen…

Aber der „Rest“ organisiert sich und hilft. Viele können aus dem betroffenen Gebiet ausfliegen, wie aus einem Alptraum. Die Welt ist grösser als das Katastrophengebiet.

Eine Woche ist vergangen seit dem Hurrikan. Jetzt läuft auf den Philippinen die internationale Hilfe an. Hubschrauber dringen auch in abgeschottete Gebiete vor.
Dankgebet.

Das ist die zweite Botschaft der Katastrophe: Es gibt Solidarität, dass Menschen sich gegenseitig helfen. (Da wird die Behauptung Lügen gestraft, die in der Folter liegt: dass Menschen sich absichtlich schaden und Freude haben am gegenseitigen Quälen. Da wird die Behauptung Lügen gestraft, die in der merkantilisierten Kultur liegt: Dass jeder nur für sich schauen soll, dann ginge es allen besser.)

Wer wird gerettet?
Es ist eine Spannung in der Verkündigung: Alle sind gemeint. Der Schächer am Kreuz signalisiert: Im letzten Augenblick kann das Ganze noch gewonnen werden („Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“) Aber es heisst auch: „Der Glaube ist nicht jedermanns Sache“ (2. Thess 3,2).

Alle sind gemeint, aber vielleicht ist niemand dabei. Das Heil ist universell, aber vielleicht sind es wenige, die daran teilhaben. Verkündigt werden muss es universell. Alles andere würde das Heil selber aushebeln. Aber es geht nicht wie eine Dampfwalze über die Welt und vergewaltigt die Menschen. Es ist ein Ruf. Da ist ein Moment der Freiheit, auch wenn es nicht die Freiheit des autonomen Subjekts ist, das sich selber an seinem Zopf aus dem Sumpf ziehen könnte. Da ist eine Lücke zwischen Ruf und Ankunft. Dazwischen liegt die Antwort.

Das Credo des Verschütteten
Das ist unser Part in einer Erlösungsreligion: dass wir Antwort geben. Und sei es nur „hier!“ oder „da!“, wenn Christus vorbeigeht und schaut, wem er helfen könne. Aber damit trauen wir ihm etwas zu. In der Antwort ist Anerkennung. Es ist eine Deutung der Welt, die sich dem andern verweigert: als ob alles sinnlos und wertlos wäre, Gott, Welt, der andere und ich. Da ist eine ganze Welt in dieser Antwort, eine ganze weltrettende Rede in diesem „Hier!“ und „da!“ Weil es Gott etwas zutraut.

So kann auch das Wort „da“ noch zu einem Credo werden, das Schwenken eines Arms kann Rettung bringen für die Verschütteten unter den Häusern auf den Philippinen. Dieser Arm sagt: Da draussen ist eine Welt. Die Katastrophe ist nicht die ganze Wirklichkeit. Es gibt so etwas wie Frieden, wie Hilfsbereitschaft, Wärme und Zugehörigkeit, und wenn auch alle Häuser über mir zusammenfallen!

 

Aus Notizen 2013
Foto von Wilson Malone von Pexels