Nacht. Stille

Früher habe ich mich immer gefragt, was Weihnachten in diesem Jahr für mich bedeutet, bevor ich mich in die Feiern gestürzt habe. Erst danach habe ich all die Feiern für andere Menschen vorbereitet.

Dieses Jahr ist es Stille. lch möchte zur Ruhe kommen.
Stille ist schon ein Geschenk, weil der Lärm sich verzieht.

Licht und Lärm und Geschäftigkeit, mit der die Welt jedem Augenblick ein Siegel anheftet wie eine Besitzurkunde, verebben. Es beginnt eine Zeit, die niemandem gehört.

Es öffnet sich ein Augenblick wie ein Fenster, und er gibt den Blick frei: auf das andere, das schon da war. Es ist verbunden mit dem Geheimnis der Welt, wir ahnen es in unserer Sehnsucht. Es steckt in unserer Müdigkeit an der Welt, wenn ein Weg ankommen will. Es steckt in der Freude an der Welt, wenn ein Kind geboren wird.

Es beginnt eine Zeit, die niemandem gehört.
Da erst fange ich an, mir selber zu gehören.
Und ich kann hören und sehen, was da ist. Das Wunder.
Die Schönheit. Die Stille.

Da ist die Mitte, die mich hinausführt aus dem Lärm und aus der Weglosigkeit dieser Welt.

Hier ist alles definiert und verzweckt. Bevor etwas begonnen hat, ist sein Ziel schon gegeben. Alles ist zugedeckt von Ansprüchen und Verweigerungen. Alles erstickt in alten Geschichten, verstrickt in Knäuel, zu denen die Enden verloren sind, die sich nicht mehr aufknüpfen lassen.

Stopp, Stille!
Der Augenblick ist wie ein Fenster, das aufgestossen wird, wenn das Atmen schwer wird, wenn man zu ersticken droht.
Luft dringt herein, angenehme Kühle. Und der Blick zeigt einen dunkeln Nachthimmel.
Einzelne Sterne sind sichtbar und eine dünne Mondsichel, halb verraucht in dem Herbstnebel, der draussen aufzieht.
Draussen ist eine wunderbare Welt.
Weihnachten ist ein Fenster auf die Wunder der Welt.

Wir sind schon lange verbündet damit. Es ist nicht so, dass wir nichts davon wüssten. Wir verleugnen es. Aber in uns lebt ein Wissen, das von Zeit zu Zeit hervorscheint.
„Da ist noch etwas anderes.“ Davon lebt die Sehnsucht.
„Es kann noch ganz anders sein.“ Davon lebt die Hoffnung.
„Es war mal anders, darum gibt es auch eine Zukunft.“
Diese Überzeugung liegt über unserm Weg und gibt uns Kraft, ihn zu gehen.

Aus Nacht und Stille will eine Stille Nacht werden.
Ich will bereit sein.

 

Aus Notizen 2013
Foto von Vladyslav Dushenkovsky von Pexels