Ein Aufblitzen von Freude!

«Freue dich!» heisst es an diesem Sonntag. Es ist ein heller Lichtblick mitten in der Passionszeit. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Nicht nur zur Passion, auch zum Sieg. Der Weg, den er gegangen ist und den er heute noch geht unter uns Menschen, kann gedeutet werden von der Passion her, aber auch von Ostern. Und alles bekommt ein anderes Gesicht. Und es ist nicht nur Deutung. Es ist der Sinn der Geschichte, in der wir uns bewegen und die Christus mit uns geht in seinem Leiden und Auferstehen.

Als Jesus Christus hingerichtet wurde, schlugen sie eine Tafel ans Kreuz: INRI stand da drauf in grossen Buchstaben: «Jesus von Nazareth, König der Juden». Es sollte die Leute abschrecken. Alle sollten es lesen und begreifen: So geht es den Aufrührern. Schaut ihn an diesen König und begreift, wer hier das Sagen hat!

Die Rückseite der Tafel
Die Christen haben diese Szene überliefert. Auf allen Kreuzigungs-Szenen ist sie wiedergegeben. Nicht um den Spott zu verlängern, nicht um sich selber zu quälen. Die Christen haben den Sinn dieser Inschrift umgedreht: Ja, dieser war wirklich ein König – sagen sie damit -, aber anders als ihr denkt!

Er hat gesiegt in Niedrigkeit, nicht in Herrlichkeit. In aller Demut hat er das in Geltung gesetzt, was sein Reich werden soll in dieser Welt: eine Gemeinschaft, wo der letzte so geachtet wird wie der erste; ein Reich, wo jener gross ist, der den andern dient. Eine Gemeinschaft in Gott, die nicht verloren geht. Darum haben die Christen diese Tafel stehen lassen: INRI, Jesus von Nazareth, König der Juden – und König von allen, die auf Gott vertrauen.

Freude!
Dieses Umdeuten des Spottes, das ist das erste Aufblitzen von dem, was der heutige Sonntag meint:

Dass da eine Freude ist in allem Leid
Ein Trost in der Trauer
Eine Hoffnung mitten in der Verzweiflung
Ein Sinn in der Sinnlosigkeit.

Darum ist das Kreuz in die Mitte des Glaubens geraten, nicht weil es den Tod verkörpert, sondern das Leben, nicht weil die Hoffnung hier gescheitert ist, sondern weil sie neu begründet wurde. Eine Hoffnung, die auf Gott vertraut. Darum ist sie so stark, dass sie auch dunkle Erfahrungen unseres Lebens erhellen kann. Vieles gibt es, wo wir uns als Menschen hilflos fühlen. Im Vertrauen auf Gott können wir neuen Mut fassen. Er ist Der, der Leben schenkt, selbst der Tod liegt in seiner Hand. Er hat jedem sein Leben gegeben, wir vertrauen, dass er auch uns kennt, dass es eine Gerechtigkeit gibt auch für unser Leben.

Die Wiederentdeckung Gottes
Gerade am Kreuz, wo alles Menschenmögliche am Ende steht, wird Gott wieder entdeckt und seine Kraft, die Leben schenkt. Und so blieb es nicht beim Kreuz, nach dieser Nacht ging der Ostermorgen auf. An Ostern wird diese Freude dann voll erklingen, wie die Sonne, die aufgeht. Aber schon jetzt ist sie zu spüren.

Darum ist die Feier der Osternacht traditionell voller Gesang. Es ist zwar noch Nacht, aber sie hat ihren Sinn geändert. Alles wird verwandelt in dieser Nacht. Und man lobt das Dunkel, weil in diesem Dunkel der Tag anbricht. Alles verkehrt seinen Sinn, sodass die Osternacht auch das Negative feiert. Die Gesänge der Osternacht loben sogar

das Leiden – denn so ist das Heil gekommen
das Unrecht – denn darum hat Gott das Recht aufgerichtet
den Tod – denn so wurde der Tod besiegt.

Umwertung aller Werte
Hier ist sie wieder: die Freude mitten im Leid. Die Freude ist nicht nur eine Unterbrechung im Leiden. Das ganze Geschehen wird neu verstanden.

Weil der Mensch verloren ging, hat Gott ihn gesucht und gefunden.
Weil man ihn als Verbrecher behandelte, hat Gott ihm Recht gegeben.

Christus, der Menschensohn, trägt das Leid der Menschen; wie Gott ihm hilft, so wird er allen Menschen helfen. Er ist erniedrigt worden, Gott hat ihn erhöht. Man hat ihn verspottet und geschlagen, darum muss sich kein Mensch mehr alleine fühlen, der das erlebt. Selbst in die Folterkammer ist Jesus Christus hinabgestiegen, diese grässlichste aller Höllen, die auch heute von Menschen betrieben wird. Auch dort gilt jetzt die Botschaft: Jeder Mensch ist wert, jeder Mensch ist würdig. Jeder Mensch ist kostbar für Gott und sein Blut schreit zum Himmel.

Ein Lied im Dunkeln
Das ist die Freude, mitten im Leid. Es ist nicht eine unbefangene Freude, wie man sie bei Kindern erlebt. Es ist eine Freude, die schon viel erlebt hat. Es ist ein Jubel aus dem Dunkeln, es ist eine Freude in der Passionszeit. Aber ohne diese Freude können wir nicht leben. Ohne das Vertrauen, dass jedes Leben wertvoll ist, kann niemand gesund bleiben und sich selber achten. Er kann nicht seinen Platz einnehmen in der Welt und seine Aufgabe erfüllen. Ohne das feste Vertrauen, dass es letztlich eine Gerechtigkeit gibt, ist ein Zusammenleben im Frieden nicht möglich.

Vieles klingt an in dieser Freude, es sind Dinge, ohne die wir nicht leben können: Achtung für jedes Leben, Gerechtigkeit im Zusammenleben, Vergebung für Fehler und die Chance eines neuen Anfangs… Ostern ist der Glaube, dass es das in unserem Leben gibt, auch wenn wir manchmal durch dunkle Strecken gehen müssen. Aber die Wahrheit über das Leben, das wird nicht an Karfreitag enthüllt, das wird an Ostern sichtbar. Schon unterwegs blitzt diese Freude auf und sie erhellt uns den Weg.

 

Aus Notizen 2008
Foto von Kristin Vogt, Pexels
Zum Sonntag Laetare, d.h. «Freue dich!»