Einen Adventskalender basteln

Wer Kontakt zu Kindern hat, kennt die Faszination: ein Törchen nach dem andern zu öffnen. Was kommt heute? Das Leben gerät wieder in Erwartungs-Modus. Wir lernen Gefühle, die wir schon verloren glaubten.

Kinder wollen immer selber machen. So setzt man sich mit ihnen hin und bastelt einen Adventkalender. Was müsste drin stehen? Plötzlich wird man auch als Erwachsener herausgefordert: Wie würde ich diesen Weg gestalten, dass sich Tag für Tag etwas entfaltet?

In der Musik kannte man früher den «gradus ad parnassum», alte Klavierschulen, die die Übungen progressiv anordneten, so dass man vom Einfachen zum Schwierigen geführt wurde, bis man – so versprach der Titel – ins Paradies einginge. In der religiösen Mystik sind solche Himmelsleitern weit verbreitet. Was würde also in den Törchen stehen, dass Tag für Tag ein Stück Glaubensweg sichtbar würde?

Unsere kleine Tochter hat mir etwas davon beigebracht:

 

Mit dem Körper glauben
Wenn das Bébé nachts nicht einschlafen will, gibt es einige probate Mittel: auf dem Gymnastikball auf- und ab wippen, es durch die Wohnung tragen, es auf den Armen in den Schlaf wiegen. Worauf Deborah am meisten anspricht, ist aber, in den Schlaf getanzt zu werden. Und das hilft nicht nur ihr, das ist auch für mich zu einem schönen Abendritual geworden. Denn ihre Unruhe, so habe ich begriffen, hat mit meiner eigenen Unruhe zu tun. So kann das Einschlafritual auch mir helfen, meine eigene innere Unruhe zu besänftigen.

Tanz als Hilfe zum Glauben
Aber was soll der Glaube mit dem Tanz anfangen können? Tanzen hilft, sich mit Denken und Sinnen einheitlich auszurichten. Der Tanz hilft bei der Verkörperung des Glaubens. Wir tragen unsere Lebenserfahrungen ja nicht nur als Erinnerungen im Kopf, sie stecken uns „in den Knochen“, wie die Redensart sagt. Und wenn wir Neues lernen wollen, kommen wir nicht weit, wenn wir nicht auch diese Erinnerung „in den Knochen“ heilen können. Dabei hilft das Tanzen. Es ist daher ein altes Mittel christlicher Spiritualität (ganz abgesehen von den theologischen Spekulationen, die sich um den Tanz der Engel und Sphären spannen). In manchen Gemeinden versucht man, den Tanz auch im Gottesdienst wieder einzuführen.

Der Tanz hilft bei der Verkörperung des Glaubens und Glaube will sich verkörpern, inkarnieren, er will das Leben umgestalten, im Leben von jedem einzelnen, aber auch in unserem Zusammenleben untereinander. Er will Institutionen gestalten, Ausdruck finden. Nur so kann er das Leben anleiten.

Vom Geist zum Körper
Wenn das gelingt, wird es spürbar und erfahrbar, was der Glaube uns zusagt, dann wird es Realität, die wir mit Händen greifen können. Das zu erreichen, ist vielleicht das Grösste, es ist aber auch besonders schwer. Denn das Denken lässt sich verhältnismässig leicht ändern, auch gute Vorsätze lassen sich leicht fassen. Aber diese dann auszuführen, das scheitert oft an dem, was uns noch „in den Knochen“ steckt. Das Alte hockt noch in den inneren und äusseren Institutionen, auch wenn das Denken sich schon lange geändert hat.

Deshalb hat die alte Theologie den Heilsweg als einen Stufenweg beschrieben: Zuerst lassen sich Geist und Wille zum Glauben bewegen, und es braucht einen langen Weg, bis auch der Körper einstimmt, der Charakter, unser Lebensgedächtnis, wo alles gespeichert ist, was wir im Leben Gutes oder Schlechtes erfahren haben. Man kann leicht fromme Lieder singen, aber Zweifel, Verzweiflung, Unglaube – das steckt einem noch in den Knochen. Man kann die Botschaft mit den Ohren hören, aber der Charakter „glaubt“ an das, was er seit frühster Kindheit erfahren hat.

Deshalb haben die alten Theologen den Weg zum Glauben als langen Weg beschreiben. Und dass wir auch mit dem Körper glauben können, das ist ein Zustand, den sie erst kurz vor dem Ziel für erreichbar halten. Sie haben das „Inhabitatio“ genannt, Einwohnung des Geistes, wo Gott bei uns nicht mehr in Hütten haust, nicht mehr wie im Exil, sondern wo er im Menschen wie in einem Tempel Platz nimmt.

Aus den Notizen 1994
Bild: Adventskalender von Deborah