Der Gottesdienst als Geschehen

In meinem letzten Jahr vor der Pensionierung habe ich viele Gottesdienste gehalten. Geschehen sie, weil ich sie halte? Oder halte ich sie, weil sie geschehen? Kommt ihnen eine Realität zu, auf die die Feier hinweist? Oder sind es nur Worte und leicht ersetzbar?

2013 schrieb ich in mein Tagebuch:
«Ich habe einen Gottesdienst zur Liebesmystik gehalten: die Liebesbeziehung als Bild für die Gottesbeziehung. Vor wenigen Jahren hätte man einen Wust von Informationen aufbieten müssen, um es zu erklären und „den Sinn“ herausziehen zu können. Jetzt kann man wieder in Liebesbildern reden.

Aber es wird nicht mehr gehört als „die“ Liebesgeschichte. Schon am Abend ist das TV-Programm jetzt wieder voll mit Fantasy-Geschichten. Die Programmgestalter legen das gern auf die alten christlichen Festtage. Das ist in ihren Augen die legitime Art, Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Dreifaltigkeit zu feiern. Jetzt heissen die Helden Avatar etc. Immerhin kann man jetzt wieder feiern, die Poesie hat wieder einen Ort. Man muss nicht dauernd Allegorese betreiben und den Mythos im Sinn der Aufklärung in Verstand „aufheben“.

Karsamstag
Am Karsamstag notierte ich in mein Tagebuch:
«Ich möchte diese Tage begehen, nicht als etwas, was ich mache. Nicht als etwas, was nur besteht, weil ich der Zeit eine Deutung gebe. Nein, es ist da, es vollzieht sich. Ich darf mich hineingeben in dieses Geschehen.
Ich darf stille sein und geschehen lassen.»

Hochzeit
Viele Menschen erleben das bei einer Hochzeit. Nach dem Gottesdienst gehen sie gern durch ein Spalier. Das Hindurchgehen lässt fühlen, worum es geht. Es ist eine Realität, auch wenn erst der Ritus ihn fühlbar macht.
Das Spalier sagt: Was jetzt an uns geschieht, das ist nicht von uns gemacht. Es vollzieht sich an uns, wir wollen es geschehen lassen und achthaben auf den Weg. Wir wollen die Hoffnung stark machen, das Vertrauen lernen und das Glück feiern. Wir wollen auch der Dankbarkeit Raum geben, denn wir spüren, dass wir von einem guten Geschick getragen sind.

Ostern
An Ostern war ich nicht zufrieden mit meiner Predigt. Ich notierte in mein Tagebuch:
«Ostern geschieht – auch bei der schlechtesten Predigt. Die Sonne geht auf, der Hahn bildet sich was ein auf sein Krähen. Der Gläubige freut sich, er stammelt ein Gebet und lässt es über sich geschehen. – Ostern ist nicht, weil ich rede. Sondern ich rede, weil Ostern ist.»

 

Mit diesem Beitrag möchte ich Sie hinweisen auf das Thema «Feste feiern – zu einer Spiritualität des Festes». Sie finden es auf der Menu-Leiste «Streiflicht».

Den erwähnten Gottesdienst zur Liebesmystik finden Sie ebenfalls als «Streiflicht»

Aus Notizen 2013