Der gute Hirte

In der Bibel ist der Hirte ein politisches Symbol: Er steht für den Herrscher, der seine Herde weidet. Wünsche für einen gute Herrschaft oder Kritik an schlechter Amtsführung wurden mit Hilfe dieses Symbols zum Ausdruck gebracht. Aber auch für das persönliche Leben ist der Hirte eine Schutzgestalt. Christus wird gern als guter Hirte dargestellt. Der Psalm 23 ist einer der beliebtesten Texte der Bibel, er gibt diesem Vertrauen Ausdruck und wird darum gern bei Beerdigungen zitiert.

In der Pandemie mussten viele Menschen Abschied nehmen. Der Psalm 23 kann uns dabei Worte leihen.

Was ist das: ein Leben?
Viele Erinnerungen steigen auf, wenn wir an unsere Verstorbenen denken, Erinnerungen, die Freude machen; Erinnerungen, die schmerzen; Erinnerungen, bei denen man sich beschenkt fühlt, und Erinnerungen an Krankheit und Verlust.

Was macht ein Leben aus? Was ist die Wahrheit über unser Leben?
Am besten finden wir das vielleicht in einem Gebet. Da sind wir ganz wahrhaftig, da legen wir alles vor Gott, was uns beschäftigt. Da dürfen wir uns zeigen, so wie wir sind, weil wir uns ganz und gar angenommen wissen.

Nachdenken im Gebet
Der Psalm ist ein Gebet. Ein Gebet versteht man nur, wenn man mitbetet. Beten, das sind nicht zuerst die Worte, die dastehen, sondern eine Haltung. Beten heisst, sich vor Gott stellen, sich aufmachen für seine Gegenwart. Versuchen wir die Worte dieses Psalms mitzubeten:

Unser Gott – wir kommen zu Dir. Wir wissen noch nicht, was wir sagen sollen, es zieht uns einfach zu Dir. Bei Dir fühlen wir uns aufgehoben und geborgen, bei Dir werden wir ruhig.
Alles wollen wir jetzt vor Dich bringen, was uns beschäftigt. Für das Schöne wollen wir Danke sagen. Das, was weh tut, bringen wir zu Dir.
Schau uns an, unser ganzes Leben bringen wir vor Dich – und uns selbst, schau mit Augen der Liebe auf uns. Unter deinem Blick fühlen wir uns angenommen und verstanden, unter Deinen Augen können wir uns aufrichten.

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen. So lese ich im Psalm. Ich will den Satz annehmen, auch für mein Leben. Lieber Gott, alles was mich jetzt beschäftigt, alles was mir Sorgen macht, wo ich nicht weiter weiss, das will ich jetzt in Deine Hand legen! Und ich will fest vertrauen, dass Du es in die Hand nimmst und richtig ordnest, dann, wenn es die richtige Zeit ist.

Er weidet mich auf grüner Aue. Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt meinen Durst. Er leitet mich auf rechtem Weg – um seines Namens willen. Lieber Gott, du kennst den richtigen Weg, wie es für mich stimmt aber auch für die andern. Du siehst jeden von uns an, jede und jeden einzelnen. Du opferst niemanden auf für einen fremden Zweck. Wir alle sind von Dir gemeint. Uns alle hast Du gerufen. Für uns alle erzählt Christus die Geschichte vom Hirten, der 100 Schafe hatte. Und als ein einziges verloren ging, liess er die 99 übrigen in der Wüste zurück und suchte und gab nicht eher auf, bis er es gefunden hatte.

Du bist mein Hirte, mir wird nichts fehlen. Du leitest mich auf rechtem Weg – um deines Namens willen. Du führst mich, ich will vertrauen, dass Du Tag für Tag das Richtige vor mich hinstellst. Und ich will vertrauensvoll darauf zugehen und wissen, es muss alles zum Guten dienen. Denn es kommt aus Deiner Hand.

Und wenn ich vom Weg abkomme, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, will ich nicht verzweifeln. Ich will immer wieder zu Dir zurückkommen und fest vertrauen, dass Du zu mir hältst und mich nicht verstösst. Denn Du nimmst mich nicht auf wegen meiner Verdienste, und Du weisest mich nicht ab wegen meiner Verfehlungen. Du tust es „um deines Namens willen“, weil Du „Hirte“ heisst und weil du der Hirte bist. Und Du schaust nach Deinen Schafen.
Du sorgst für die 99, die den geraden Weg gehen, und du suchst nach dem hundertsten, das vom Weg abkommt. Und wenn Du es gefunden hast, dann rufst du (wie der Hirt in der Geschichte) deine Freunde und Nachbarn zusammen und sagst: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war!“ (Lk 15)

Und führt mich der Weg durch ein finsteres Tal – ich fürchte kein Unglück, denn Du bist bei mir, dein Hirtenstab tröstet mich.
Lieber Gott, wir denken an unsere Verstorbenen. Wir können sie nicht mehr begleiten, wir wollen sie Dir ans Herz legen. Unser Verstand weiss nicht, wie das gehen soll, aber unser Vertrauen weiss, dass wir bei Dir gehalten und geborgen sind.

Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du gehst nicht nach Hörensagen. Was andere von uns sagen und denken, das hat vor Dir kein Gewicht. Du kennst die Wahrheit über unser Leben. Du urteilst gerecht. Und Du bist barmherzig. Du weisst, dass wir nicht immer können, wie wir wollen. Darum bist Du gekommen, um uns zu erlösen. „Der Menschensohn ist gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten“, sagt Christus. (Lk 19,10)

Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir den Becher randvoll. Irgendwann gibt es ein Ende für unsern Weg, irgendeinmal gibt es ein Ankommen. Du kommst uns entgegen wie ein Gastgeber seinem Gast.
Was sollten wir auch sonst bei Dir sein als Gäste? Worauf uns berufen, wenn nicht auf deine Freundlichkeit? Alles haben wir ja von Dir: unser Leben, unsere Familie, unsere Freunde, unsere Gesundheit. Alles ist ein Geschenk von Dir. Du machst den Anfang unseres Lebens, in Deiner Hand liegt auch das Ziel. Und es wird gross und schön, wie der Anfang.

„Du wandelst meine Tage in Glück und Gnade, und ich bleibe in Deinem Haus ein Leben lang.“ In diesem Trost nehmen wir Abschied von unseren Verstorbenen. In dieser Hoffnung wollen wir unser Leben führen. Wir danken Dir.

 

Zum Sonntag Misericordias Domini