Das Leben ist keine Gewohnheit

Ich rede vom «Weg» des Glaubens, als ob man darauf gehen könnte, eine Stunde, zwei Stunden. „Wie weit ist es noch um Ziel?“ Aber es ist kein Wanderweg. Mir scheint, ich hätte es noch nie geschafft, mehr als zwei, drei Schritte hintereinander auf diesem Weg zu gehen. Verdient er es da noch, ein Weg zu heissen? Aber diese zwei, drei Schritte haben mich weiter gebracht als alle Anstrengung zwischendrin, als ich nicht auf diesem Wege ging.

In der Scham nach dem Absturz denke ich, ich hätte mich aus eigener Schuld herausgekippt, ich hätte mich und seine Gnade verachtet, ich würde jetzt nie mehr auf den Weg zurück finden. Die Erfahrung sagt aber: Es gibt einen Weg zurück. Ich darf wieder zurück, ich werde wieder angenommen.

Zu Tode erschrocken
Aber ich denke zu harmlos nach über das, was ich erfahren habe. Die Erfahrung, dass es «immer wieder» in Ordnung kommt, relativiert es und macht es zu etwas Belanglosem. Gerade jetzt jagt ein Gewittersturm über das Haus und lässt Fenster und Türen knallen. Was Rückkehr meint, kann man nicht verstehen ohne die Erfahrung und die Erinnerung daran, wie es ist, wenn die Seele zu Tode erschrocken ist. Und wenn sie die Schuld bei sich sucht (und findet, schuldlos ist kein Leben).

Diese Bitterkeit im Leben
Das meint Rückkehr: sich wieder unschuldig fühlen dürfen, einen neuen Anfang machen dürfen, ohne die Zentnerlast der Vorwürfe an sich selbst, ohne das bittere Gefühl, aus eigener Schuld alles verdorben zu haben, ohne diese Bitterkeit im Leben, die nicht mehr mit etwas Gutem rechnet, die nicht mehr hoffen kann, dass es noch gut wird mit dem eigenen Leben! Denn es ist selbst verspielt, die Chance war da, das Geschenk war da. Aber ich habe es nicht respektiert und für wert geachtet. Ich kann niemandem einen Vorwurf machen als mir selber Und jetzt ist es zu spät.

Über «Busse» (so heisst die Rückkehr in der kirchlichen Tradition) kann nicht leichtfertig geschrieben werden. Nicht ohne diesen Schrecken in der Seele und ohne diesen Jubel über das Evangelium.

Innere und äussere Gewitter
Das Gewitter verbindet die innere mit der äusseren Welt. Die Furcht vor dem, was sich drohend über dem Kopf zusammenbraut, erinnert an den Vater und seinen Zorn. Dieser Zorn mag „jähzornig“ hervorgebrochen sein, durch langes Anstauen besonders heftig und überraschend. Aber er hatte doch auch zu tun mit dem Gewissen, mit der inneren Stimme, die einen mit sich selbst entzweit, weil man sich im Widerspruch weiss.

Solche «Gewitter», äussere Ereignisse, haben immer wieder die Gewalt, uns bis ins Mark zu erschrecken. Und der Schrecken lähmt uns. Es dauert lange, bis wir den Mut finden, Antwort zu geben und überhaupt mal hinzugucken. Der äussere Schrecken ist oft aufgeladen und vervielfacht durch die innere Angst, die in uns aufgrund unseres vergangenen Lebens bereit steht und sich verbindet mit äusseren Infragestellungen.

Nützt das was?
Darum ist die Politik wichtig, die Wirtschaft, das persönliche Verhalten, aber dieses findet oft erst zu Kraft und Entschiedenheit, wenn die inneren Widerstände ausgeräumt sind. So kann so etwas Altmodisches wie «Vergebung» grosse Kraft entfalten, auch in der Wirtschaft, auch in der Politik – oder in Problemfeldern, wo wir es nicht vermuten würden, wie Klimawandel, Artensterben, oder einer Pandemie, wo wir immer wieder gelähmt und erschreckt vor Ereignissen stehen.

 

Aus Notizen 2013
Zum Buss-Sakrament