Ich habe mich verloren

Im Leben geschieht es immer wieder, dass man sich verliert. Man ist abgewichen von dem, was man selbst als richtig spürt. Man möchte es überspielen, es ist ja auch meist keine grosse Sache, es geht meist nicht um Gesetzesverstösse, vielleicht nicht einmal um moralische Gebote. Und doch ist es nicht der richtige Weg.

Vom Weg abgekommen
Diesen Weg sind wir einige Zeit gegangen und es war wunderbar, vieles hat sich eingefunden, was wir lange verloren glaubten. Neues ist uns gelungen. Und wir sahen schon eine neue Zeit in unserem Leben aufdämmern.
Aber da haben wir etwas nachgegeben, was war es? Etwas Unerfülltes? Haben wir eine Abkürzung genommen? Wir spüren, wir sind vom Weg abgefallen. Es will nicht mehr gelingen. Die Geste, die vorher ans Ziel kam, ist jetzt stumpf. Sie kommt nicht zum andern hinüber.

Wir kommen nicht mehr zum andern, denn wir sind mit uns selbst im Unreinen. Wir verbergen uns wie Adam und Eva im Paradies, als sie vom Weg abwichen. Und auch unsere „Sünde“ ist nur, dass wir einen Apfel gegessen haben, der uns jetzt nicht zustand. Und Gott geht durch den Garten und ruft: Adam, wo bist du? – Wir verbergen uns, wir können uns nicht zeigen, wir lehnen uns im Innersten selber ab.

Scham
So können wir nicht mehr auf Menschen zugehen. So können wir nicht mehr unserer Spontaneität vertrauen. So verlieren wir unseren inneren Führer. Unsere Bewegungen werden steif, wie an Fäden gezogen. Wir sind von aussen gesteuert wie Marionetten, von unserem Willen, statt von unserem Herzen, denn in unserem Herzen, da ist ein Widerspruch.

Plötzlich sieht das Leben wieder alt aus. „Das hatte ich doch hinter mir“, denken wir. Aber alte Fragen stehen aus ihren Gräbern auf, das Leben windet sich wieder durch alte Engpässe hindurch. Das Totgeglaubte steht wieder auf gegen uns. „Immer haben wir nicht“ – wir trösten uns mit diesem Satz, der gilt, wo ein Mensch auf seinem Weg geht und versucht, auf sich acht zu haben. Wir machen die Schritte selten ein für alle Mal, es gibt immer wieder ein Zurückfallen, ein Herabfallen vom Weg.

Einmal Rückfahrt, bitte!
Darum ist es umso wichtiger, wie wir wieder auf den Weg zurückfinden. Das geht nur über Gott. Aber gerade vor ihm scheuen wir uns. Er ruft im Garten und wir verbergen uns. Wir getrauen uns nicht, unter seine Augen zu treten, wir fühlen uns nackt. Und es kann einige Tage dauern, bis wir es schaffen. Wir überspielen vielleicht, was geschehen ist. Es geht auch ganz passabel. Äusserlich merkt man uns nicht viel an. So kennt man uns ja. Aber endlich, eines Morgens, da spüren wir, dass wir nicht mehr aufstehen können zu einem neuen Tag, ohne dass wir das bereinigt haben.

Mit Gott gegen Gott
Und im Konflikt mit Gott fliehen wir zu Gott, dass er uns helfe gegen sich selbst, der liebende gegen den gerechten, der barmherzige gegen den, den wir auch brauchen, der darauf schaut, dass Wahrheit geschieht und Recht. Wir können nicht anders und wir kommen im Gebet zu ihm. Und wir sind wirklich nackt. Aber seine Liebe hilft uns. Wir können uns auf nichts berufen als auf seine Liebe. Wir haben nichts, mit dem wir uns bekleiden könnten, was unsere Blösse bedecken würde. Nein, wir sind abgefallen. Wir verdienen es nicht, wieder angenommen zu sein. Er hat uns alles geschenkt, und wir – warum ist es nur geschehen?

Noch einmal unschuldig
Wir bitten ihn, dass er uns wieder aufnehmen soll wie zuvor. Dass wir wieder unschuldig werden. Dass wir unser Leben noch einmal neu leben können. Dass die Tore uns wieder offen stehen, und der Boden unsere Schritte vorwärts trägt – wie damals, als wir auf dem Wege waren.

Wir bitten ihn um seine Vergebung. Und es wird uns schwer, darum zu bitten, die Schuld einzugestehen. Sie ist ja so klein. Wir könnten sie leicht kleinreden. Und doch ist sie so gross, dass sie uns vom Weg abgebracht hat. (Von aussen sieht man sie nicht, ausser dass die Menschen spüren, dass wir uns ein Stück weit selber verloren haben. Darum ist es eine Sache des Gewissens.) Es ist eine Sache zwischen mir und Gott, ganz klein, riesengross. Es ist etwas, das mir immer wieder begegnet auf dem Weg.

Was heisst Weg?
Ich rede wohl vom Weg, als ob man darauf gehen könnte, eine Stunde, zwei Stunden. „Wie weit ist es noch zum Ziel?“ Aber es ist kein Wanderweg. Mir scheint, ich hätte es noch nie geschafft, mehr als zwei, drei Schritte hintereinander auf diesem Weg zu gehen. Verdient er es da noch, ein Weg zu heissen? Aber diese zwei, drei Schritte haben mich weiter gebracht als alle Anstrengung zwischendrin, als ich nicht auf diesem Wege ging.

Der Weg des Lebens, er geht hier durch. So muss und will ich ihn gehen, wie ein Kind, das Fahrradfahren lernt. Ich setze mich immer wieder drauf, stosse ab, trete in die Pedale, und es geht ein Stück, solange ich das Gleichgewicht halten kann. Dafür gibt es viele Hilfen, um das Gleichgewicht zu bewahren: am Morgen eine Übung machen, früh aufstehen, im Gebet zu Gott kommen, die rechte Haltung einüben, die Tradition beachten, was jene Menschen uns überliefern, die vor uns auf dem Weg waren.

 

Aus Notizen 2008
Zum Buss-Sakrament, der kirchlichen Rückkehr-Hilfe