Joggeli söll ga Birli schüttle

Der Bauer schickt den Jockel aus

«Es gibt keinen Gott», sagen die Spötter, «er tut ja nichts». Dass Gott oft nicht spürbar ist, das wissen auch die Gläubigen, das hat sie schon in der Bibel beschäftigt und immer wieder in der Glaubensgeschichte. Eine Antwort gibt das Judentum in einer Kindergeschichte, die auch im Christentum bekannt und beliebt geworden ist, hier unter dem Titel: „Joggeli söll ga Birli schüttle“ (in der Schweiz) oder «Der Bauer schickt den Jockel aus» (in Deutschland).

«Es gibt keinen Gott»
„Warum bist du so weit weg, Herr? Warum verbirgst du dich vor uns? Schamlose Schurken stellen den Armen nach und fangen sie in heimtückischen Fallen.“ So beginnt der Psalm 10. Dann heisst es: «In ihrem Grössenwahn reden sie sich ein: Wie sollte Gott uns zur Rechenschaft ziehen? Wo er doch gar nicht existiert! Sie tun, was sie wollen, und alles gelingt.“

Eindrückliche Texte lassen sich in der Bibel finden. Ob der Elende gehört wird, ob dem Armen geholfen wird, ob der Rechtloses Recht erhält, das ist von elementarer Bedeutung. Das prägt nicht nur das Leben eines einzelnen, sondern auch das Geschick eines ganzen Volkes. Das geht letztlich ein in die Geschichtsbetrachtung und in die Haltung, wie diese Welt und Wirklichkeit beurteilt werden.

Kommt Gott zu spät?
„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu befreien und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fliessen.“ So antwortet Gott im ersten Testament auf die Not der Menschen. (Ex 3,7f).

An Pessach wird die Befreiung aus Ägypten jedes Jahr neu gefeiert. Dabei werden Geschichten erzählt. Am Schluss folgt die Geschichte vom Lämmchen, das die Katze frass. Da kam der Hund, der die Katze zerriss. Das erboste den Stock, der das Lämmchen am Hund rächte. So geht es weiter in einer immer weiter entfalteten Handlungskette, die in den einzelnen Zügen undurchschaubar ist, deren Sinn aber am Ende sichtbar wird: „Gott richtet Welt und Wesen, die Guten wie die Bösen.“

Es ist ein Kindervers – wenn man die Geschichte kennt, stockt einem aber der Atem. Wieviel Leid ist in dieser Geschichte verborgen, wieviel Verzweiflung aber auch immer wieder erneuerte Hoffnung!

Oster-Geschichten
Die Oster-Geschichte vom Lämmchen ist auch in die deutsche Kultur eingedrungen. «Joggeli söll ga Birli schüttle» heisst das Kinderbuch, das Lisa Wenger 1908 veröffentlicht hat. In Deutschland gibt es die Version «Der Bauer schickt‘ den Jockel aus», welche seit 1609 im Druck belegt ist.

Auch hier geschieht ein Unrecht und die Antwort verzieht sich. Auch hier wird eine lange, undurchsichtige Handlungskette entfaltet, bis am Ende sichtbar wird: Es gibt eben doch so etwas wie Gerechtigkeit, auch wenn sie oft kraftlos scheint. Es gibt eben doch so etwas wie Erbarmen und Mitfühlen. Es gibt eben doch so etwas wie die Würde der Kreatur und das Recht auf Leben!

Es sind rechte Ostergeschichten, die auch heute verdienen, wieder gelesen zu werden. Denn das Recht scheint heute nicht einfach einen Siegeszug durch die Welt anzutreten. Das Erbarmen, das Mitfühlen, die Würde des Menschen, das wird viel beschworen und eingefordert. Auf dem diplomatischen Parkett, in der internationalen Politik regieren aber immer noch Machtspiele und ungenierte Eigeninteressen. Auch Einschüchterung und Kanonenboot-Politik werden wieder entdeckt.

Hoffnung und Zuversicht
Es ist nicht nur eine Wette auf den Ausgang der Geschichte. Es ist eine Zuversicht, die die Menschen heute schon brauchen, ein Vertrauen auf die Kraft von Recht und Gerechtigkeit: «Gott richtet Welt und Wesen, die Guten wie die Bösen.» «Do goht de Meischter sälber us», heisst es am Schluss vom Joggeli. Er schaut jetzt selber zum Rechten. „Da geht der Herr nun selbst hinaus und macht gar bald ein Ende draus.“

Das „Ende“ – das ist kein finaler Feuerball, wie die Hollywood-Filme die Apokalypse interpretieren. Das Ende ist kein schwarzes Loch, wie die traumatischen Verletzungen immer wieder mutmassen. Das Ende, wie es die Bibel vor Augen stellt, ist das Reich Gottes. Wo Menschen in Frieden und Gerechtigkeit zusammenwohnen. Das Interesse liegt aber nicht auf dem Ende, sondern auf der Gegenwart. Dieses Vertrauen inspiriert das Verhalten und die Haltung, in der Menschen sich begegnen. Es behebt Blockaden und macht Freiheitswege auf.

 

Aus Notizen 2013
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