Quasimodo 2021

Quasimodo: So heisst das Ungeheuer, das in der Kirche lebt. Ältere erinnern sich an das Buch „Der Glöckner von Notre-Dame“ von Victor Hugo, das früher viel gelesen wurde, oder an seine Verfilmung. Als Kind wurde er ausgesetzt, auf die Treppe der Kirche gelegt. Und weil das am Tag „quasimodo geniti“ geschah, gab der Ziehvater ihm den Namen Quasimodo.

Was diesem Ungeheuer geschah, das ist ein Bild für das, was in den kirchlichen Lese-Texten vom «Sonntag Quasimodo» verhandelt wird. Alle Sonntage tragen in der Tradition einen Namen, gemäss den kirchlichen Lesungen an diesem Tag. Die Sonntage nach Ostern (Quasimodo geniti, Misericordias Domini, Jubilate, Cantate) nehmen alle eine Erfahrung auf, die die Menschen auch heute machen, wenn sie im Glauben vorwärts gehen.

An Ostern ist ein neuer Anfang geschehen. (Damals hat man die Menschen an Ostern getauft.) Der alte Mensch ist «ersäuft», ein neuer Mensch in Christus ist geboren.

Die alte Welt
Aber es zeigt sich, die alten Uebel leben noch fort. Die alten Gespenster, die wir für überwunden glaubten, sind noch da. Die alten Schrecknisse, die wir mit dem Glauben überwunden meinten, plagen uns noch immer. Wir dachten, durch die Taufe neue Menschen geworden zu sein, die das Abbild Gottes in sich erneuert hätten. Aber wir gleichen dem Ungeheuer Quasimodo, das mit seinem Buckel durch die Kirche hoppelt.

Die neue Welt
Darum sagt der Apostel Petrus: Ihr seid zwar getauft, aber betrachtet euch in dem neuen Leben, das begonnen hat, wie kleine Kinder, die gerade geboren wurden (quasimodo geniti). Sie brauchen Geduld und Zuwendung. Sie sind noch nicht reif für feste Nahrung, sie trinken Milch. Und der Glaube muss wachsen und sich in dieser Welt einen Raum schaffen.

Die Kirche als Ungeheuer
Quasimodo – so heisst das Ungeheuer, das in der Kirche lebt. Auch die Kirche selbst als Institution lebt in diesem Zwischenreich. Wir hoffen auf Schönheit, sie zeigt oft ein hässliches Gesicht; auf Ehrlichkeit, manchmal wird viel vertuscht; auf Gerechtigkeit, da ist viel Berechnung und Kumpanei, wenn man sich einen Vorteil erhofft. Auch die Kirche ist auf diesem Weg. Das Neue ist ihr schon zugesagt, aber das Alte lebt noch in allen Knochen. Selbst wenn Reformen «alte Zöpfe» abgeschnitten haben, da ist ein Phantomschmerz. Und das Vergangene hat immer noch Kraft, um weh zu tun.

Auch für die Kirche, wie für den einzelnen, ist es ein Weg: Dass wir lernen, uns aufzurichten; dass wir lernen, die alten Spiele loszulassen; dass wir üben, auf andere zuzugehen und die Wahrheit abzufragen, die sie erfahren haben an ihrem Ort, in ihrem Leben – sie ist ein Baustein, ohne den wir das Gebäude der neuen Kirche nicht bauen werden.

Der humpelnde Heilige
Bis es so weit ist, humpelt Quasimodo noch in der Kirche herum. Aber Quasimodo hat ein doppeltes Gesicht: Wenn wir auf das Ziel schauen, sehen wir all das, was noch fehlt. Wenn wir auf das Evangelium hören, dann ist er schon geheiligt. Denn hier will Christus ankommen und sein Heilungswerk beginnen. Er beginnt im Dunkel, nicht im Licht, bei den Bedürftigen, nicht bei den Vollkommenen. «Des Menschen Sohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist» sagt Jesus. (Lk 19,10). «Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu berufen, sondern Sünder. Die Starken bedürfen des Arztes nicht, aber die Kranken.» (Mk 2,17)

Trost
So ist Quasimodo auch mir zum Trost geworden: Ich will nicht nur auf das Äussere schauen, nicht zum „Heuchler“ werden, der etwas darstellen will, was er meint, erreicht zu haben, dabei steckt in allen Knochen noch das Alte, und der Glaube ist erst ein Anflug des Vertrauens. Aber alle Schöpfung seufzt noch und stöhnt und sehnt sich nach Erlösung, nach einer Erlösung im Fleisch, in den Knochen. Und sie liegt wie in Geburtswehen für eine neue Zeit, die noch kommt.

Ich brauche noch die Nahrung der Kinder, die Milch, den Honig des Gelobten Landes, dass Hoffnung und Glaube mir immer wieder Kraft geben. Damit ich dem Alten widerstehen kann, wenn die schlechten Träume kommen, wenn ich die andern für meine Feinde halte, wenn ich kämpfen will und so auch die andern wieder in ihre alten, für überwunden geglaubten Zustände zurückwerfe.

Ich selber bin behindert, entstellt. Ich trage nicht die Züge des neuen Menschen, der mit Gott und den Menschen versöhnt ist. Aber ich darf mich gernhaben, diese Fratze, diesen Quasimodo, weil Gott aus Liebe gekommen ist, um diesen entstellten Menschen zu retten. „Denn ihr habt erfahren, wie gütig der Herr ist.“ (1. Petrus 2,3)

 

Zum Sonntag Quasimodogeniti