Das Paradies der Sicherheit

Erlebnisse in Militärdienst und brutale Zeitungsmeldungen verdichten sich zum Gefühl, in einer eigentlichen Zeitenwende zu stehen. Im In- und Ausland spricht sich die Interessenpolitik immer deutlicher aus. Hohn und Spott halten Einzug in die Politik. Der Mantel von Demokratie und Rechtsstaat wird auch mal fallen gelassen, wenn direkte Machtausübung schneller zum Ziel führt. Für mich ist es wie ein Schock.

Aha-Erlebnis
Traumatisierte Charaktere gibt es immer, aber in einer Zeit der sicherheitspolitischen Hochrüstung, der massenhaften Verdächtigung und misstrauischen Bespitzelung der eigenen Bürger, gewinnt solche Welt-Erfahrung ein massenhaftes Evidenz-Erlebnis.

Im Sicherheitsdenken, wo die Staatsräson über alle anderen Werte hinwegschreitet, hat der traumatisch Verletzte ein Wahrheits-Erlebnis, wo sich scheinbar enthüllt, was er von der Welt immer schon vermutet hat: Die Welt ist auf Feindschaft aufgebaut, jeder ist der Feind des andern, niemand darf dem andern trauen, niemand darf sich eine Blösse geben. Jeder muss die Fäden direkt in der Hand behalten, sonst kann er sich nie sicher fühlen.

Religionskritik der Angst
Mit Glauben verträgt sich ein solches Welt-Erleben nicht. Vertrauen hat hier einen schweren Stand. Wer wird sein Leben auf eine solch schwache Basis abstellen? Dieses Welt-Erfahren betreibt Religionskritik auf der Basis der Angst. Diese sucht Sicherheit, nicht Vertrauen. Man will das Weltverhältnis einseitig kontrollieren, Vertrauen ist ein wechselseitiges Verhältnis.

Eine solche Welterfahrung treibt den Prozess der „Entmythologisierung“ immer weiter. Da darf nichts mehr symbolisch repräsentiert werden. Da muss alles „real“ zur Verfügung stehen. Da gibt es kein Vertrauen mehr, nur noch direkte Herrschaft. Da ist keine Sicherheit, wenn nicht die Grundlagen der Existenz selber an kurzen Fäden in der Hand gehalten werden.

 

Aus Notizen 1986
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