Ein Glaube wie Musik

Musik beginnt nicht mit Noten. Die kleinsten Kinder bewegen sich schon im Tanz. Sie singen vor sich hin. Da ist eine Musikalität, die sie singen macht. Ähnlich ist es mit der Religion. Da werden bedeutungsschwere Lehren aufgeboten. Die Tradition geht in unvordenkliche Zeit zurück. Aber was den Glauben lebendig macht, das ist jetzt da. Und es findet sich bei jedem Menschen, in jedem Augenblick.

Die Bibel hat es mit Glauben zu tun. Sie erzählt vom Glauben vergangener Geschlechter, aber sie zielt auf den Glauben der Menschen heute. Das ist ein ähnliches Spannungsverhältnis, wie wir es in der Musik kennen:

Singen ohne Noten
Man kann Musik machen ohne Kenntnis von Noten, so hat Musik angefangen, so beginnt sie biographisch immer. Kinder singen lange bevor sie Noten lernen. Das ist begründet in der Musikalität, die jeder Mensch in sich trägt.

Dann gibt es aber auch die Überlieferung. Schon früher haben Menschen Musik gemacht. Da ist ein ungeheurer Reichtum. Und das wäre schade, könnte man Bach und Mozart nicht mehr aufführen. Darum wird die alte Musik aufbewahrt und an die folgende Zeit überliefert. Darum wurde die Notenschrift erfunden, darum gibt es eine Ausbildung, wie man Noten liest und in Musik umsetzt.

Damit echte Musik zustande kommt, die den Hörer packt, und damit das wieder lebendig wird, was der Autor der Notenschrift wollte, muss aber wieder lebendige Musikalität dazukommen: bei den Aufführenden und bei den Hörenden. Die Notenschrift ist nicht das Ziel. Die Tradition ist nur ein Hilfsmittel, damit aus der lebendigen Musik in der Vergangenheit eine lebendige Musik in der Gegenwart wird.

Noten ohne Singen
So ist es auch in der Religion. Der Glaube richtet sich auf einen lebendigen Gott. Er lebt in der Gegenwart, in jedem einzelnen Menschen, so wie die Musikalität. In diesem Glauben kann der Mensch sein Leben gestalten. So kann er sich im Gebet vor Gott stellen, er hat einen Ort, wo er sich gehalten und getragen weiss. So kann er seine Dankbarkeit abstatten und seine Fragen und Sorgen vor Gott bringen. So hat er einen Namen für seine Sehnsucht.

So macht der Mensch in seinem Leben Erfahrungen mit dem Glauben. Er findet heraus, was hilft und was nur Abwege sind, die vom Ziel wegführen. Und das haben unsere Eltern schon gemacht. Unsere Vorfahren haben ihre Erfahrungen überliefert. Das ist die Glaubenstradition, wie sie in der Bibel überliefert wird, aber auch in Musik, Malerei, in der ganzen christlichen Kultur.

Musik
Dieses Zeugnis kann man wissenschaftlich untersuchen. So gibt es ganze Reihe von Wissenschaften, die sich mit Bibel, Glaube, Theologie etc. beschäftigen. Das ist spannend anzusehen. Es ist aber nicht alles. Es ist wie bei der Musik. Das Ziel der Notation ist erst erreicht, wenn durch sie die Musikalität, die in jedem Menschen lebt, entzündet wird, so dass die lebendige Musik zum Klingen kommt.

Von dieser existenziellen Form des Glaubens handelt das Streiflicht «Ein lebendiger Gott». (Sie finden die «Streiflichter» auf der Menüleiste des Blogs.)

 

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