Von meinen Schwierigkeiten, einen lebendigen Gott zu glauben

«Vor Monaten hat sich etwas Neues in mein Gebetsleben eingeschlichen, unmerklich, von den Rändern her.» (So beginnt eine Notiz aus der Zeit, in der ich nach dem Glauben suchte.) «Schon früher hatte ich manchmal, als paradoxe Gedankenspielerei, den Satz ausgesprochen: „Wenn wir ernst nähmen, wovon wir immer sprechen: Gott – dass es ihn wirklich gäbe …!»

Ich begleitete den Satz mit einem Lachen, um anzudeuten, dass er nicht so ernst gemeint sei, denn das schien doch skandalös, dass da einer von Gott redet, ohne wirklich an ihn zu glauben. Ich hatte wohl den Verdacht, dass wir alle uns so verhalten, aber mit dem Satz schien ich ein Stillschweigen zu verletzen, wie das Kind im Märchen vom König ohne Kleider. Ich schien mich blosszustellen vor einer Menge, die allesamt bestreitet, dass es ihr so gehe, so dass nur ich nackt vor den skandalisierten Menschen zu stehen schien.

Dann rutschte der Satz in mein Gebet. Und ich versuchte mir vorzustellen, dass dieser Gott, von dem ich immer redete, zu dem ich selbstverständlich immer betete, wirklich lebte! – Es war eine Sensation wie ein Erdbeben: Eine Kruste brach auf, vom Magen her sprudelte etwas auf und überschwemmte mich, es ging durch alle Glieder…

Es war ein Gefühl ungeheurer Freiheit. Wenn Gott lebt und der Welt gegenübersteht, so lebe auch ich und stehe der Welt gegenüber! Dann bin ich frei – in meiner Fülle festgestellt, und gerade dadurch frei, mich ins Einzelne zu verlieren!

Es war eine Ahnung von Freiheit, von der Möglichkeit, mich aus der Deckung aufzurichten, hinter der ich mich vor dem Leben verschanzt hatte.»

So schrieb ich in einer Notiz vom 20. März 1990.
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