Die versunkene Kathedrale

Inhaltsverzeichnis

Wie es begann. 1

Archäologie. 2

Die versunkene Kathedrale. 3

Religion als Kultivieren urwüchsiger Impulse. 4

Die Mitte. Der Berg. Die Quelle. 5

Der Weg – ein Glaubenstext 5

Glauben vor dem Glauben. 6

 

Wie es begann

Die Frage nach Religion und Glauben kehrte Mitte 30 in mein Leben zurück. Bisher hatte ich mich für ungläubig gehalten. Jetzt ertappte ich mich beim Beten: Ich betete für meine Frau, die beruflich viel mit dem Auto unterwegs war. – Wie konnte ich beten, wenn ich nicht an Gott glaubte?! – Und wenn da etwas in mir war, das glaubte, wie konnte ich das nicht zur Kenntnis nehmen? So kehrte die Frage nach Gott in mein Leben zurück. Und ich begriff: Es war jetzt keine philosophische Frage mehr wie mit 15. Es war eine Frage des Vertrauens. Glaube, so lernte ich später, wird im Neuen Testament mit „pistis“ bezeichnet. Das meint wörtlich eine Vertrauens-Haltung.

Wie stehe ich am Morgen auf?
Die Frage der Religion, die erst nur am Rande aufgetaucht war, rückte immer mehr ins Zentrum. Bald ging es nicht nur darum, ob ich an einen Gott glaube. Es ging auch darum, wie ich am Morgen aufstehe, welche Haltung sich in mir breit macht, bevor ich auch nur einen ersten Gedanken gefasst habe. Ich war kein unbeschriebenes Blatt; bevor ich selber mein Leben zu buchstabieren begann, waren gewisse Texte da schon eingetragen. Ich war nicht frei zu gehen, wohin ich wollte.

Im Rückblick sah ich, dass ich immer wieder durch dieselben Pfade stolperte und immer wieder in dieselben Löcher fiel. Ich war nicht frei in meinem Verhalten. Da gab es Mechanismen, die sich schon einklinkten und die Regie übernahmen, bevor ich mich auch nur gefragt hatte, was ich denn eigentlich tun wollte. Ich folgte vorgegebenen Ablaufsmustern, die schon meine Wahrnehmung steuerten. Und das hatte zu tun mit Angst, Sicherheitsbedürfnis und Vertrauen.

Eine Frage von Liebe und Arbeit
An diesem Punkt spürte ich: Die Frage nach dem Glauben, das ist für mich nichts Äusserliches. Da geht es nicht nur um den Hut, den ich heute trage, sondern um den ganzen Anzug und auch um das, was drin steckt. Denn ob ich vertrauen kann oder nicht – das ist auch die Frage, die mich in meinen Beziehungen beschäftigt und in meinem Verhalten am Arbeitsplatz. Im „Glauben“ wurde diese Frage nur in reiner Form gestellt. Aber es waren dieselben Themen, die mich jeden Tag beschäftigten.

 

Archäologie

Glauben und Religion hatte ich früher weit von mir weggeschoben. Jetzt durchfuhr es mich: „Das bin ja ich!“ Und von diesem Moment an war der „Glaube“ im Zentrum von all dem angelangt, was mich beschäftigte im Leben. Es war eine neue Formulierung für all die Fragen, die mich seit jeher umgetrieben hatten. Sie erschienen im Gewand eines uralten Wortes, das wie ein Relikt einer alten Kultur aus dem Wüstensand aufragt und von Archäologen ausgegraben wird. Und ich konnte ihm einen Sinn abgewinnen. Ich war neugierig, wie denn die alten Antworten auf meine Fragen passen würden. Dem wollte ich nachgehen.

Nina-Nina
Eine meiner ältesten Erinnerungen ist das „Nina-Nina-Machen“. So nannte es meine Mutter. Offenbar wälzte ich mich als kleines Kind im Bett hin und her, wenn ich aufwachte und mich alleine fand. Die Mutter war in jener Zeit viel im Geschäft. „Machst Du Nina-Nina?“ fragte sie mich, wenn sie kam. Und dann war alles wieder gut. Meine Mutter war da. Und das, was gewesen war, hatte einen Namen bekommen.

Später im Leben erinnerte ich mich daran. Ich wiegte mich nicht mehr im Bett, aber das Gefühl kam mir bekannt vor: dass ich den Kontakt zu mir selber verloren hatte, dass ich wie aus meinem Körper gefallen war. Es war ein Stück von Ekstase. Die wiederum hatte ihre eigene Schönheit. Es war ein wie ein anderer Bewusstseins-Zustand. Mal konnte ich von oben auf mich heruntersehen, wie ich als Kind am Tisch sass und Schul-Aufgaben machte. Mal floh ich in diesen Zustand, wenn ich es im gewöhnlichen Leben nicht mehr aushielt. Ich floh in das Grenzgebiet, befahl meinen Räubern und war dort König.

Schönheit
Es war reine Schönheit. Glück ist etwas für das normale Leben, das stellt sich ein, wenn Wünsche sich erfüllen. Schönheit ist anders. Das denkende und wollende „Ich“, das im Streben nach Glück ganz lebendig wird, löst sich hier auf. Es geht über ins „andere“. Es verschmilzt mit dem Betrachteten. Und alles ist „schön“. Die Dinge verlieren ihre Preisschilder, die sie für das handelnde Bewusstsein haben, da gibt es kein gut und kein schlecht mehr, kein höher und tiefer. Da ist nichts Hässliches mehr. Gerade in den hässlichsten Ecken, wo das Verlassenheitsgefühl am grössten ist, ist es am schönsten. Man muss nur durch das Tor gehen.

Damals hat mich die Schönheit überfallen. Es war der halb-krankhafte Eskapismus eines Kindes, das nie ganz im Körper Platz genommen hat. Es war ein „Aus sich hinausfallen“, aber auch ein Hineingehen in ein Reich der Schönheit. Doch ich verbot es mir, immer wieder, definitiv im Alter um die 25. Ich legte die Gedichte beiseite, die ich geschrieben hatte. Ich verpflichtete mich auf einen Weg „unten“ auf dem Boden. Ich misstraute mir und allem, was ich liebte und was ich gut kannte. So wollte immer auf das zugehen, was mir nicht lag. Ich wollte mir immer das auferlegen, was ich von mir aus nie gesucht hätte. Weil ich spürte, dass der Weg da hindurch führen musste.

 

Die versunkene Kathedrale

Die Erinnerungen sind undeutlich. Es ist, als ob man durch das Wasser hinabsehen wollte auf den Grund. Von hinten her betrachtet, von dem her, was ich später gelernt habe im Leben, waren das Anfänge von Religion. Aber es war urwüchsig, ohne Gestaltung. Es kam ohne dass man es gerufen hatte. Es ergriff einen und trug einen fort.

Verfallene Ruinen! Sollte da ein Schatz verborgen sein? Auf dem Meeresgrund sind Rundbogen zu sehen – sollten sie zu jener Kathedralen gehören, die nach einer Sage auf dem Grund zu sehen ist, die Kirche einer versunkenen Stadt?

Kann es einen Sinn haben, dass Kinder aus sich selbst herausfallen zu unfreiwilligen „Seelenreisen“?

Kommt dieses Abdriften in die Kontemplation naturwüchsig und wie ein Überfall über die Menschen, oder lässt es sich kultivieren? Gibt es einen erlaubten Umgang damit, der den einzelnen nicht schädigt und die Gemeinschaft fördert?

Das Heben versunkener Schätze
Lassen sich diese Erlebnisse des Kleinkindes reinigen und pflegen? Gibt es aus dem Hinausfallen eine Wiederkehr? – Viele Fragen stellen sich. Es ist die Frage nach einer möglichen Religion.

Kann das Kind eine Mitte finden? Muss der Rausch der Ekstase verboten bleiben oder hat das Schöne ein Heimatrecht in einem recht geführten Leben? Gibt es aus der Flucht eine instruierte Wiederkehr? Ist Ekstase nur Rausch, oder hat sie eine Botschaft? Im Symptom steckt eine ganze Welt mit Himmel und Hölle. Aber lässt sich das mit andern teilen? Ist das ein Weg zum Glauben?

Jähzorn
Leichter zu erkennen sind versunkene Güter, wenn sie sich ins Gegenteil verkehrt haben. So ist es beim Fluchen und beim Jähzorn.

Jähzorn ist ein Schicksal, das durch Familiengeschichten geht wie Trinken oder „ins Wasser gehen“ (wie man früher sagte). Wer davon betroffen ist, sucht Hilfe nicht nur für sich. Er kann es wie einen „Auftrag der Ahnen“ empfinden: dass das endlich zu Ende geht und nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben werden muss.

Jähzorn gehörte auch zu unserer Familie. Er war ein Muster, das wir gelernt hatten. Wenn etwas uns sehr beschäftigte, konnten wir nicht einfach davon reden, als ob wir ein Recht hätten, eine Meinung zu äussern oder Forderungen zu stellen. Aber wenn wir uns künstlich zornig machten, wenn wir uns innerlich hochschaukelten, dann konnten wir es zornig in den Raum werfen und Türe knallend hinausgehen. Jetzt hatten wir es gesagt! Jetzt sollten sie schauen! In dieser Form war es ein hilfreiches Muster.

Es gab aber auch den Jähzorn, der alle Rücksicht auffrass und bei dem man sich selber vergass. Diese Bilder haben sich in die Erinnerung eingegraben. Wenn ein Jähzorniger in der Wut einen Gegenstand zertrümmerte und scheinbar keine Grenzen mehr kannte – dann lernte man als Kind den Atem anhalten, sich tot stellen, sich verbergen und hoffen, dass der Blick an einem vorbei gehe. Gesehen zu werden hiess, Zielscheibe zu werden. So legte sich schon das Kind eine Tarnkappe zu und lernte, den Körper still zu stellen.

Fluchen
Der Jähzorn sieht mächtig aus und macht Kindern Angst. Gleichzeitig vermittelt er die Botschaft von grosser Ohnmacht. Und die Wut richtet sich gegen sich selber. Das ist vielleicht auch die geheime Befriedigung bei einem solchen Anfall: dass man gegen sich selber wüten kann, dass man das, was man am meisten liebt, vernichtet, weil man selber ja gar nichts wert ist. Man vernichtet es und heult dabei vor Kummer und Verzweiflung.

Bei solchen Zornattacken war auch das Fluchen nicht weit. „Gott …“ schrie ich als Kind und wünschte, dass Gott mich verdammen möge. Auch das ist ein Fund aus der Tiefe. Sollte das aus jener Kirche stammen? Was ist das ursprüngliche Bild, das sich so entstellt hat? Und lässt es sich wiederherstellen? Wie erlöst man ein Leben, das sich selber verflucht?

 

Religion als Kultivieren urwüchsiger Impulse

Aus sich herausfallen, Ekstase, die Flucht in Schönheit – was mir klar geworden ist über diese vorsprachlichen Lebensdeutungen: „Religion“ werden sie erst, wenn sie kultiviert werden. Dann können sie ihre Wildheit abstossen, ihre Brutalität und das traumatisierende Beiwerk und Blendwerk, das immer wie ein Theater abläuft, wenn ein Flashback erfolgt, wenn die alten Verletzungen wieder auftauchen und die alten hilflosen Abwehr-Versuche einer frühkindlichen Magie.

Als Kind schon habe ich gelernt, „aus dem Körper zu fliehen“. Hier wird das Schöne missbraucht. Kontemplation geschieht naturwüchsig, wie ein Angstabwehr-Mechanismus. Eine ähnliche Funktion haben Suizid-Gedanken, die eine letzte Ausweich-Möglichkeit vorgaukeln. Sie verhindern aber eine wirklich „Einwohnung“ ins Leben.

Religion so scheint es, hat einen bewussten Umgang mit diesen Dingen entwickelt, die bei mir unwillkürlich durchbrechen. Ist da ein Weg, auch diese im Körper verankerten Verhaltensweisen aufzubrechen?

Religion gibt Meditation – statt wilder Kontemplation, Begeisterung – statt wilder Ekstase. In ihr lebt die Sehnsucht nach „Mehr“ in den religiösen Bildern einer langen Tradition – statt in privaten Suchtwegen.

Sie kennt diese Erfahrungen: wie ich an einem „Ganzen“ teilhabe, wie ich mich in die „Mitte“ stellen kann, wie ich Freude erfahre im Gebet – statt diesem reaktiven Aus-der-Welt-Gleiten und Hinüber-Träumen.

 

Die Mitte. Der Berg. Die Quelle

Ich erinnere mich an ein Bild, das ich als kleiner Junge gemalt habe. Damals, ich weiss nicht, wie alt ich war, habe ich mir unter der Treppe, in jener vergessenen Besenkammer, einen Raum eingerichtet, wo ich malte, bastelte, schnitzte. Es war ein Refugium, herausgelöst aus dem Alltag.

Ich musste nur die Tür aufmachen und war in einem andern Land. Im Dunkel dieser Kammer – sie hatte nur ein kleines Licht – stiegen aus dem Dunkel der Ahnungen Bilder auf, Visionen, wo sich mein Leben verdichtete, wo meine Zukunft Bild-Form annahm, meine Herkunft mich begleitete wie ein Segen aus dem Ursprung, der in seinem Werk präsent ist, der mitläuft auf seinem Weg.

Auf dem Bild – ich habe es Jahre später gefunden und eine Kopie gemacht – sieht man ein Heerlager, viele Zelte im Kreis, in der Mitte ein Berg und darauf eine Burg. Der Berg ist gespalten, aus der Spalte fliesst ein Bach. Er gibt das Wasser für das Lager. Aus der Quelle fliesst es bis zu uns.

 

Der Weg – ein Glaubenstext

Von Gott her kommt uns jemand entgegen: Jesus Christus.
Im Gebet ist er wie ein „Du“, wir können mit ihm sprechen, jeden Tag:
am Morgen vor dem Aufstehen, am Abend, wenn wir den Tag abschliessen. Er ist da, er begleitet uns, ist mit uns auf dem Weg.
Und er geht uns voraus, er weiss den Weg und hilft uns.

So ist der Weg der Christen ein Nachfolgen. Nachfolgen ist eine besondere Art des Gehens. Es gleicht dem Wandern in den Bergen.
Wer Christus nachfolgt, der macht eigene Schritte, er geht seinen Lebensweg. Und doch kommt er dabei zu einem Ziel, das er aus eigener Kraft nie erreichen könnte. Denn Einer ist vorausgegangen, er hat den Weg gebahnt, er hat einen Weg aufgemacht, wo vorher keiner war.

Wer den Fuss in seine Spur legt und ihm nachfolgt, erreicht das Ziel.
Er geht aus eigener Kraft, und es ist doch nicht sein Verdienst: Es ist Gnade. Denn die Vollendung des Lebens ist das Werk Gottes, so wie der Ursprung des Lebens seine Tat ist. Das macht nicht der Mensch.

Auf seinem Weg finden wir ans Ziel.
Das Ziel unseres Lebens, das müssen wir nicht machen.
Das steht vor uns, wie der Berg am Horizont.
Mächtig steht er da, er verbindet Himmel und Erde.
Dort geht unser Weg.

Es ist ein Bild, es hilft davon reden: ein Bild, wie der Weg zum Himmel führt. Himmel – das ist dort, wo Gott sein Reich aufrichtet, wo es nach seinem Willen geht:
Die Menschen leben in Gerechtigkeit und Frieden.
Ohne Gerechtigkeit und Frieden können wir uns keine lebenswerte Welt vorstellen. Es ist notwendig, damit wir leben und gesund bleiben können.

Immer wieder erleben wir ein Stück dieses Himmels hier auf der Erde,
Immer wieder erleben wir ein Stück der Vollkommenheit.
Aber herstellen können wir es nicht. Wir sind auf dem Weg dazu.
Und der Weg gelingt uns nur, wenn wir jetzt schon von dem leben, was wir anstreben, wenn wir jetzt schon ein Stück von Gerechtigkeit und Frieden erfahren.

Das ist der Glaube. Er ist ein Stück vom Ziel, während wir noch auf dem Weg sind.
Wer glaubt ist wie ein Wanderer in der Natur.
Vor sich sieht er den Berg, er macht ihn nicht, er steht da, mächtig und wunderbar, wie eine Achse im Kosmos.
Wenn der Wanderer sich auf den Weg macht, tritt er in diese Landschaft ein.

Wer sich den Berg zum Ziel nimmt, der ist schon mit dem ersten Schritt in der Landschaft, die zu diesem Berg gehört:
Er lässt die Häuser und Strassen hinter sich, den Lärm
Er tritt in die Stille ein, Vögel singen, Blumen blühen am Weg.
Wer Augen hat dafür, der sieht das Grosse auch im Kleinen.
Er freute sich am Kleinsten. Es ist ja nicht klein.
Es ist von derselben Art wie der Berg, der da vorne in den Himmel ragt. Und vom Berg her kommt uns der Fluss entgegen.

Erst ist es nur eine Quelle, dann wird sie grösser. Sie bringt das Wasser bis zu uns, die wir noch auf dem Weg sind.
So können wir jetzt schon unseren Durst stillen, an dieser Quelle, auch wenn wir noch unterwegs sind.
Im Gebet, im Glauben, erfahren wir immer neue Kraft.
Wir können uns anschliessen an der Quelle.

So gehen wir unsern Weg.

 

Glauben vor dem Glauben

Glaube ist manchmal unter seinem Gegenteil verborgen. Manchmal wächst er aus kleinen Anfängen. Manchmal scheint er aus nichts zu entstehen.

Ein Mensch, nach seinem Glauben gefragt, erzählt vielleicht von einem Erlebnis aus der Zeit, bevor er den Glauben fand. Und es gehört für ihn zur Glaubensgeschichte. Aber es ist nicht mitteilbar. Der andere, der es hört, findet dadurch keinen Weg zu Gott. Da ist eine Leerstelle, die der Gläubige leicht füllen kann: für ihn ist es Gott, der hier eingegriffen hat. Dem Ungläubigen wird es unbehaglich. Denn er findet nichts in sich, dass er ein solches Wort nachsprechen könnte.

Es gibt eine seltsame Stelle im Brief des Apostels Paulus an die Römer. „Gott kommt unserer Schwachheit zu Hilfe. Wir wissen oft nicht wie wir beten sollen, aber der Geist selber tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“ (Römer 8, 27)

Da tritt Gott an die Stelle des Menschen und nimmt ihm sogar das Beten ab. Der Mensch, der Gott nicht kennt, kann ihn nicht anrufen. So tritt Gott an seine Stelle und betet für ihn und erfüllt ihm auch gleich seine Bitte.

Verdrehte Logik! Und doch wird die Stelle gern zitiert, weil sie eine Erfahrung trifft, die viele Gläubige gemacht haben. Wie soll man auch vom Glauben erzählen, den man hatte, bevor man ihn hatte – nach welcher Logik? Da ist Gott zuerst. Und er leiht dem Sprachlosen seine Sprache, er sieht, was er braucht und nicht sagen kann, weil er in seinem Leid versunken ist. Und er befreit ihn daraus – und erst mit vielen Jahren Abstand tritt dieses Ereignis im Bewusstsein hervor. Es nimmt einen wichtigen Platz ein.

Und gefragt, was denn das wichtigste war in seinem Glaubensleben, sagt der Gläubige vielleicht: Das war damals, als ich mich von Gott und Mensch verlassen fühlte. Ich habe nicht mal gebetet, denn ich kannte Gott nicht. Aber er hat mich gerettet und hat mir das Schönste geschenkt in meinem Leben, für das ich ihm noch heute jeden Tag danke.

Es war keine Quelle zum Glauben, es war kein Grund, um gläubig zu werden. Denn damals wusste er ja nichts davon. Aber später war das Erlebnis eine Quelle von täglichen Dankgebeten. Und so war es vielleicht doch eine Quelle des Glaubens, wenn auch noch versteckt unter dem Gegenteil. Die Freude war noch verborgen im Leiden und der Dank in der Not, die nicht zu bitten weiss.

Manche Menschen halten die Not für die Ursache des Glaubens, sagt Friedrich Hölderlin. Aber die Quelle des Glaubens liege in der Dankbarkeit.
So wäre Danken der Anfang des Glaubens.
Das Danken mag später kommen als der Glaube, aber es ist doch sein Anfang.

 

Foto: gildo cancelli, pexels