Durch das Dunkel zum Licht

Karfreitag – dieser Tag hat einen dunklen Klang. Er erinnert an so viel Leid. Und doch ist es ein Festtag im christlichen Glauben. Er erinnert uns an unsere Hoffnung. Hier wendet sich der Weg zu Ostern, zur Freude.

Sieben Worte hat Christus am Kreuz noch an uns gerichtet. Es sind letzte Worte, kostbare Worte, die man sammelt wie ein Vermächtnis. Im Lauf der Geschichte hat man sie zusammengestellt – sie stehen in verschiedenen Evangelien. Man hat sie ausgelegt, in Musik vertont. Es ist ein Andachtsweg geworden. Im Hören auf diese Worte lernen wir uns besser verstehen. Zwei Worte sind hier ausgewählt. Sie führen durch das Dunkel zum Licht.

Mein Gott, warum hast Du mich verlassen.

Mit Scheu und mit Respekt nähern wir uns diesem Wort. Wie viel Leid steckt darin?! Unwillkürlich nehmen wir Abstand. Wir würden am liebsten weitergehen. So ginge es dem Wort wie dem Meister: Es bliebe in jener Einsamkeit zurück, in der keiner gerne ist.

Wir schauen hin, weil Er es gesagt hat. Weil jedes seiner Worte Evangelium ist. Es hat die Kraft, gesund zu machen. Das anzusehen, was am meisten Angst macht, kann gesund machen. Wir können hinschauen im Vertrauen, dass wir gehalten sind, dass wir nicht allein und verlassen sind.

Mein Gott, warum hast Du mich verlassen.
Das scheint der tiefste Punkt im Leiden eines Menschen, der Punkt, um den jeder einen Bogen macht: von den Menschen verfolgt und von Gott verlassen.

Da sind Erfahrungen, so verletzend, da mag niemand hinschauen. Lieber gehen wir weg, machen Betrieb, zerstreuen uns. Da sind Erlebnisse – da sind wir sogar von uns selbst im Stich gelassen. Weil wir nicht hinsehen wollen.

Aber dieser ist da, dieser bleibt. Er schaut hin. Er kennt die Not des Menschen.

Das Evangelium gibt nur den Anfang seiner Klage wieder. Es ist der Anfang von Psalm 22:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,
bleibst fern meiner Rettung und den Worten meiner Klage?
Mein Gott, ich rufe bei Tage, und du antwortest nicht –
des Nachts und ich finde keine Ruhe.
Und doch bist Du der Heilige, der thront über den Lobgesängen Israels.
Auf Dich vertrauten unsere Väter;
Sie glaubten und Du halfst ihnen.
Zu Dir schrien sie und wurden errettet;
Auf Dich vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
ein Spott der Leute und verachtet vom Volke.
Alle, die mich sehen, spotten meiner,
verziehen die Lippen und schütteln den Kopf:
„Er warf’ s auf den Herrn, möge der ihm helfen;
Er rette ihn, denn er hat ja Gefallen an ihm.“

Ja, Du bist’ s, der mich zog aus dem Mutterschoss,
mich sicher barg an meiner Mutter Brust.
Auf dich ward ich geworfen aus Mutterschoss,
von Mutterleib an bist Du mein Gott.
Sei nicht ferne von mir, denn Not ist nahe;
Niemand ist, der helfe.“

Viele Not gibt es auf der Welt, Egoismus, Habgier, gedankenlose Grausamkeit, Gefühllosigkeit. Aber niemand ist wohl so ausgeliefert wie der Gefangene, der gequält wird, wie der Mensch, der von anderen Menschen absichtlich getötet und gefoltert wird. Da öffnet sich ein Abgrund in der Wirklichkeit. Das ist der tiefste Punkt der Verlassenheit.

Gibt es einen Menschen der ähnliches erlebt hat, so ist er jetzt nicht mehr allein. Christus hat es erlebt. Es gibt Erfahrungen von Leid und Ohnmacht, da fühlen wir uns nicht verstanden ausser von dem, der es ebenfalls erlebt hat. Ein Helfer, der weiss, wie es geht, der erreicht uns dort nicht mehr. Der weiss ja nicht, wie es ist, wenn man nicht mehr weiss! All die Klugen und Starken – ihre Hilfe ist nur Gerede. Aber dieser da, der kennt uns. Denn er hat unsere Ohnmacht geteilt!

Am tiefsten Punkt kehrt der Weg um – wenn sich einer einstellt und bei ihm aushält, und sei es in der Ohnmacht. An diesem Punkt schlägt die Situation um, und der Psalm der Verlassenheit wird zu einem Psalm der Hoffnung:

„Die ihr den Herrn fürchtet, preist ihn!
Ihr alle ehrt ihn, bebt vor ihm!
Denn er hat nicht verachtet den Elenden
und nicht verabscheut den Schmutz des Gefallenen, der am Boden liegt.

Er hat sein Angesicht nicht vor ihm verborgen.
Und da er zu ihm schrie, hat er ihn erhört.
Dir danke ich’s dass ich lobpreisen kann in grosser Gemeinde.
Es werden essen die Gebeugten und gesättigt werden,
den Herrn werden preisen, die ihn suchen.
Aufleben soll ihr Herz für immer!

Und meine Seele, ihm lebt sie.
Meine Kinder werden ihm dienen,
werden erzählen vom Herrn dem kommenden Geschlecht.
Und künden werden sie seine Gerechtigkeit noch ungeborenem Volk,
denn der Herr hat es getan.“ (Ps 22)

 

„Frau, siehe dein Sohn, und du, siehe deine Mutter!“
Unter dem Kreuz stehen Maria, die Mutter von Jesus, und sein Jünger Johannes. Sein Weg geht zu Ende. Da vertraut er sie einander an. „Frau, siehe dein Sohn, und du, siehe deine Mutter!“

Er denkt über seinen Tod hinaus.  Gott denkt über den Tod hinaus.
Wir sehen nur daran hin. Da ist eine Grenze, wo es für uns nicht weiter geht.
Wo wäre der Mensch, der je dem Tod getrotzt hätte?

Ausser in der Liebe, die denkt über den Tod hinaus.
Da sind wir berührt von etwas Grösserem.

Die Liebe ist ein „Gottesgedanke“. Die Liebe führt Menschen zusammen. In der Liebe geben sie das Leben weiter. In der Liebe sind wir Mitarbeiter an der Schöpfung.

In der Liebe erleben wir, wie sich etwas Grosses an unserm Leben ereignet.
Wir sind Teil von etwas Grösserem, das die Grenze des Todes weit übersteigt.

In der Liebe sind wir Mitarbeiter an der Erlösung. Wir üben uns in Vergebung. Wir erleben, wie das Leben neue Kraft gewinnt. In der Liebe wird auch unser Leben neu.

 

Aus Notizen 2003
Bild Kreuztragung, Piero della Francesca, 15. Jh.