Gerechtigkeit

Gott ist gnädig, so sagen wir in der Kirchensprache. Ist er auch gerecht? Wenn wir die Welt anschauen, fragen wir uns manchmal, ob es gerecht zugeht. Und wir empfinden das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Wir brauchen sie nicht für uns. Aber wir sehen es bei anderen: dass sie leiden müssen, dass sie niemanden haben, der sie hört, der ihnen hilft. Und das tut uns in der Seele weh.

Ein himmelschreiendes Unrecht
Wir möchten in einer Welt leben, wo es gerecht zu und her geht. Wir kennen den Ausdruck: „Das ist ein himmelschreiendes Unrecht“. So sieht es auch die Bibel: Ein Unrecht, das niemand sieht, hört, wo man nicht hilft und für Recht sorgt, das schreit zum Himmel. Es bringt die Welt in Unordnung. Da muss jemand eingreifen.

Besonders spricht die Bibel von den Witwen und Waisen, Menschen, die früher allein waren und darum besonders unter dem Schutz Gottes stehen. „Gott hört das Rufen der Waisen“, heisst es in einem biblischen Text. „Er sieht die Tränen der Witwe.“

«Er ist nicht parteiisch gegen den Armen, das Flehen des Bedrängten hört er. Er missachtet nicht das Schreien der Waise und der Witwe, die viel zu klagen hat. Rinnt nicht die Träne über die Wange und klagt nicht Seufzen gegen den, der sie verursacht? Von der Wange steigt die Träne zum Himmel empor; der Herr achtet darauf und es missfällt ihm.» (Jesus Sirach 35, 16ff)

Gott hat ein Ohr für die Armen. Er hört, wenn jemand zu ihm ruft und seine Hilfe braucht. „Er hört das Flehen des Bedrängten. Er ist nicht parteiisch gegen den Armen“, heisst es in dem Text.

In der Welt gilt der Reiche mehr als der Arme. Einem Mächtigen hört man mehr zu. Er findet eher Zustimmung als jemand, der weniger prominent ist, der mit seinem Leben nicht so hervorgetreten ist. Gott hört beide, sagt die Bibel. Er schaut nicht die Person an, sondern den Menschen.

Die Träne
Gott sieht selbst eine Träne. Ein Mensch hat Unrecht erfahren oder ist gedemütigt worden. Die Träne rinnt über die Wange. Aber sie fällt nicht einfach zur Erde. Sie fliegt in den Himmel hinauf.

«Rinnt nicht die Träne über die Wange und klagt nicht Seufzen gegen den, der sie verursacht? Von der Wange steigt die Träne zum Himmel empor; der Herr achtet darauf und es missfällt ihm.»

Tränen sind eine stille Sprache. Es gibt im Römerbrief eine Stelle, da schreibt der Apostel Paulus: „Gott kommt unserer Schwachheit zu Hilfe. Wir wissen oft nicht wie wir beten sollen, aber der Geist selber tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“ (Röm 8,27) Es ist die Erfahrung, dass wir manchmal gerade dann, wenn wie es am meisten brauchten, nicht um Hilfe bitten können. Wir können nicht beten, Gott scheint weit entfernt. Aber im Rückblick denken wir: Damals, als ich so unglücklich war, hat Gott mich gehört.

Gott scheint weit entfernt
Gerade die tiefsten Wendepunkte im Leben sind oft solche, für die wir nicht gebetet haben. Da ist Gott selber für uns eingetreten. Da war unsere Not wie ein stilles Gebet, sagt dieser Text. Und er erzählt die Geschichte der Träne. Sie ruht nicht, bis sie zu Gott gefunden und ihre Botschaft ausgerichtet hat.

«Von der Wange steigt die Träne zum Himmel empor; der Herr achtet darauf und es missfällt ihm. Das Flehen des Armen dringt durch die Wolken, es ruht nicht, bis es am Ziel ist. Es weicht nicht, bis Gott eingreift und Recht schafft als gerechter Richter.»

Gott ist gerecht. Daran können wir festhalten. In diesem Glauben steckt grosse Kraft.

 

Zum Sonntag Judica
Nach Notizen 2011
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