Von den Wünschen und ihrer Erfüllung

Es gibt Zeiten im Leben, da geht alles einen geraden Weg. Der Alltag folgt den gewohnten Pflichten. Und die Tage sind wie aufgereiht auf einer Schnur. Wir müssen nicht links und nicht rechts schauen, das Leben läuft wie auf Schienen.

Dann gibt es Zeiten, wo es scheint, als ob das Schicksal eine Seite umgeblättert habe. Plötzlich öffnen sich ganz neue Perspektiven. Oder alte, gewohnte Bilder von unserer Zukunft werden durchgestrichen. Wir wissen nicht, wo es hinwill mit unserm Leben. Sollen wir neue Ziele in Angriff nehmen? Oder erledigen, was schon lange ansteht?

Oft haben wir uns etwas gewünscht im Leben. Und manchmal ging es in Erfüllung. Aber nicht immer hat es uns glücklich gemacht. Anderes haben wir abgelehnt, als es kam. Und 30 Jahre später denken wir gerne daran zurück. Es wurde eine der schönsten Phasen in unserem Leben.

Der erste Wunsch
Kürzlich sassen wir bei einer Klassen-Zusammenkunft zusammen. Es war die erste seit vielen Jahren und wir waren neugierig, voneinander zu hören.

Der eine war Koch geworden und er erzählte, wie er als Lehrling im Souterrain arbeiten musste. Das hat ihm damals zu schaffen gemacht. „Da oben“ sagte er, „da sitzen die feinen Leute. Die gehen ins Restaurant. Und hier unten bin ich und mache die ganze Arbeit. Ich kann nicht mal Gast sein in dem Restaurant, wo ich arbeite. Ich kann es mir nicht leisten.“ Oft habe er in seiner Lehrlingszeit gedacht: „Könnte ich doch zu denen da oben gehören!“

Es war wie ein Wunsch im Märchen, erzählte der Kollege. Und der Wunsch ging in Erfüllung. Er hat den Beruf gewechselt und gut verdient. Und er ist wirklich einmal hingegangen und hat sich feierlich in jenes Restaurant gesetzt. Es war wie ein Zeichen, dass er es jetzt geschafft hatte.

Aber was er sich damals ersehnte, hat er doch noch nicht gefunden. „Ich bin immer noch am Suchen“, sagt er heute. „Und manchmal denke ich sogar, es wäre vielleicht besser gewesen, im Beruf zu bleiben.“

 Der zweite Wunsch
„Das erinnert mich an meine Geschichte“, sagte ein anderer Kollege aus der Runde. „Ich habe lange nach der richtigen Beziehung gesucht. Und ich hatte immer das Gefühl, dass die Freundinnen, die ich kriegte, nicht die Richtigen seien. Und die Richtigen, von denen ich träumte, die kriegte ich nicht.

Einmal fuhr ich mit dem Tram in die Stadt Zürich. Da sass eine Frau vor mir. Schön, elegant, unnahbar – und da traf mich wie ein Schlag der Gedanke: „Das ist eine dieser Frauen. Ich werde sie nie kennenlernen!“ –

Vielleicht war das einer jener Momente, in dem Wünsche in Erfüllung gehen. Denn wie es der Zufall wollte: Sie stieg am selben Ort aus, wie er. Da fasste er sich Mut und sprach sie an. – „Sie wurde später meine erste Frau“, erzählte der Kollege. „Aber es ist nicht gut gegangen. Die Scheidung war ein Horror für mich. Ich bin jahrelang nicht darüber hinweggekommen.“

Der dritte Wunsch
„Bei mir verlief die Geschichte anders“, erzählte ein dritter. „Ich erinnere mich gut, wie ich in die Lehre sollte. Ich sollte das Geschäft übernehmen und so habe ich den Beruf von meinem Vater gelernt. Ich selber hatte andere Interessen, aber ich wusste nicht, wie ich mich gegen die Erwartung wehren konnte. Als der Tag kam, als ich in die Lehre abreisen sollte, da ging ich wie ein Kalb zur Schlachtbank. Aber heute, im Rückblick, denke ich. Diese Lehre war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben!“

In den USA gibt es eine riesige Schlucht, den Grand Canyon. Und die Indianer, die dort leben, erzählen eine Legende. Gott habe diese Schlucht gegraben. Und er habe sie absichtlich so gelegt, dass sie zwischen drin liegt: zwischen dem Dorf, wo die Menschen leben, und dem Paradies. Denn wenn es den Graben nicht gäbe, würden alle ins Paradies abwandern. Niemand würde es dort aushalten, wo er lebt, und das Leben stürbe aus in der Welt.

Was es ist
Ein besserer Weg wäre, wenn wir akzeptieren könnten, was ist. – Das ist unendlich schwer. Wir wollen es nicht haben, wie wir es haben. Wir wollen nicht sein, wie wir sind. – Und es ist unendlich schön. Es ist schön, wenn das Kämpfen aufhört, wenn wir nicht mehr ablehnen müssen, was zu uns gehört. Wenn wir uns nicht mehr verstellen müssen oder nach einer fremden Decke strecken. Es ist schön, wenn wir einfach annehmen dürfen, was ist, und so auf andere Menschen zugehen, wie wir sind. Wenn einfach sein darf, was ist.

Wir dürfen Frieden schliessen mit unserm Weg und mit uns selber. Und wenn Friede ist, öffnen sich neue Türen. Wenn wir die Angst ablegen, gehen neue Wege auf. Und eine tiefe Ruhe zieht bei uns ein. Kräfte, die gebunden waren in alten Konflikten, werden wieder frei. Und das Leben kann wieder eine neue Seite aufschlagen.

So wird sichtbar, was mit unserm Leben gemeint ist. Es entfaltet sich Schritt um Schritt. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege“, sagt Gott. „Aber in Freuden sollt ihr ausziehen und in Frieden will ich euch geleiten!“ (Jes 55,8 ff)

 

Aus Notizen 2002

Foto von Josh Sorenson von Pexels