Ich wasche meine Hände in Unschuld

Vor dem Einschlafen höre ich Psalmen. Da betet einer, er wasche seine Hände in Unschuld. Und er beteuert, er habe «ohne Schuld gelebt». Mit dem Schlafen ist es erstmal vorbei, wie kommt einer zu einer solchen Aussage?

Aus Psalm 26

«Verschaff mir Recht, o Herr;
denn ich habe ohne Schuld gelebt.
Erprobe mich, Herr, und durchforsche mich,
prüfe mich auf Herz und Nieren! (…)
Ich wasche meine Hände in Unschuld; (…)
Raff mich nicht hinweg mit den Sündern,
An ihren Händen klebt Schandtat,
ihre Rechte ist voll von Bestechung.
Ich aber gehe meinen Weg ohne Schuld.»

Woher diese Unschuld?
Wozu diese Beteuerung? Der Psalm dient vielleicht als eine Art Eid vor Gott, keine Bestechung anzunehmen. Ich will mich aber nicht bei den sozialen Verhältnissen aufhalten, auf die das hinweist.  Über die Unschuldsbeteuerung kann man sich vielleicht lustig machen, weil sie jeder Menschenkenntnis widerspricht. Ein Hinweis auf den Formelcharakter dieser Beteuerungen bei gewissen Gelegenheiten im Leben der Gemeinde hilft nicht viel weiter.

«Ganz»
Es hilft aber, sich an das Motiv zu erinnern, aus dem man beten will. Man möchte „ganz“ vor Gott kommen, sich „durchsichtig“ machen. Weil man nur so ganz zu sich kommen kann, weil man nur so ganz sich selber annehmen kann, weil man nur so „ganz“ werden und sich integrieren kann, ohne etwas abspalten zu müssen.

So öffnet man sich vor Gott. Der absolute Massstab, der hier aufgerufen wird, ist aber auch verbunden mit dem Vertrauen zum Schöpfer und seiner bleibenden und vergebenden Liebe, so dass es überhaupt möglich wird, sich „aufzumachen“, so dass überhaupt irgendwo auf der Welt ein Ort ist, wo man wahrhaftig werden kann, weil man sich getragen fühlt.

Er stellt das verletzte Recht wieder her
So ist es weniger die Angst vor dem Gesetzgeber, die eine haltlose Beschwörung der Unschuld auslöst, weil sie ja doch nicht zutrifft in diesem absoluten Sinn, es ist das Vertrauen zum Schöpfer/Vater/Mutter, was erlaubt, sich zu öffnen und was die Bitte ermöglicht: führe mich den geraden Weg.

Es ist durch den Gesetzgeber hindurch der Schöpfer, der richtet und in seinem Richtspruch gerecht macht. So wie in der Szene am „Ende der Zeit“, wie die Phantasie sie sich ausmalt: dass das ganze Leben vor ihm angeschaut wird. Da ist das, was nicht gut war. Und Scham und Schuld steigen auf. Er spricht Recht und stellt das verletzte Recht wieder her. Er stellt das verletzte Leben wieder her. Er gibt einen neuen Anfang auf einem Weg, auf dem es ein Ankommen gibt. Und das Ankommen ist hier.

Pilatus
So muss auch das Händewaschen des Pilatus kein Abwimmeln der Verantwortung bedeuten: „Ihr wollt ihn ja verurteilen, ich will nichts damit zu tun haben!“ Es ist eine Textmarke im Mt-Evangelium, so wie es in der Passionsgeschichte noch viele gibt. Der Hörer/Leser soll sich an dieser Stelle an Ps 26 erinnern.

Es ist das Motiv beim Beten. Was dort eine Sehnsucht in einem Augenblick des Lebens ist, wird jetzt bezogen auf das ganze Leben: Ich möchte alles Gott geben und von ihm zurückerhalten. Ja, er soll mich „auf Herz und Nieren prüfen“. Es ist die Sehnsucht nach Hingabe, die alles umfasst, wie er es selber fordert, dass wir ihn ehren sollen mit Herz und Verstand und mit aller Kraft, wie er selber zusagt, dass er zu uns stehen will mit Herz und Verstand … Ich weiss die Instanzen nicht mehr, es sind dieselben, es meint das Ganze.

Das Tor
Das Gebet fasst das Ganze in einen Augenblick, es ist wie das Tor, durch das man hindurchgeht, in den Garten, und da ist die Mitte, in die man sich hineinstellen kann. Christus sagt es dem Verbrecher neben sich am Kreuz zu, im letzten Atemzug seines Lebens, dass er heute noch mit ihm im Paradiese sei.

Es ist das „Ankommen“, wo alle Intuitionen wahr werden, wo der Weg ans Ziel kommt, wo alles, was angefangen wurde im Uranfang, mit allem, was dort begonnen wurde, einzieht wie durch ein Tor, in die Stadt, in den Tempel, in das Land der Verheissung, in das Reich Gottes.

 

Aus Notizen 2015
Foto von Parij Photography