Scherben

Was sollen uns Tonscherben? Wenn in der Schweiz Überreste einer versunkenen Zeit ausgegraben werden, interessieren sich oft nur Fachleute dafür. Anders ist es bei Auslandreisen, in Ägypten oder Mittelamerika. Die Pyramiden und Tempelanlagen zeugen von einer ganz anderen Zeit. Die Pracht der Pharaonen-Gräber überwältigt. Da wird Archäologie fast zu einer Schatzsuche, es wird zu einem spannenden Abenteuer.

Oft stösst man dabei auf Bilder, als Relief eingelassen in Tempelwände oder eingegraben in ein Siegel. Die Bilder stellen oft die Welt dar, wie sie als Ganzes ist. Da ist mit wenigen Strichen alles dargestellt, von dem die Kultur damals lebte: der Fluss, der jährlich das Tal überschwemmt, der die Felder bewässert aber auch eine Bedrohung darstellt. Daher trägt er die Gestalt einer Schlange oder eines Drachens. Und man sieht göttliche Gestalten, die den Drachen bändigen, damit er nicht ausbleibt und Dürre das Leben bedroht. Ebenso wenig aber soll er als Überschwemmung kommen und Verderben bringen statt Leben.

Ein Foto vom Glück?
Um solche Bilder zu verstehen, muss man umdenken. Wir sind nicht mehr gewohnt, „das Ganze“ zu denken. Ein „realistisches“ Bild ist für uns ein Bild, das darstellt, was man sieht. Bilder der alten Zeit zeigen aber auch das, was man nicht sieht, aber weiss. So sieht man auf christlichen Ikonen einen Berg, aber er ist aufgeschnitten, und darin wird sichtbar, was Augen eben gerade nicht sehen, was nur der Glaube weiss.

In unserer westlichen Kultur wurde die Ikonenmalerei im 14. Jahrhundert von der perspektivischen Darstellung abgelöst. Wir malen auf Bildern nicht mehr das Ganze, sondern das, was die Augen sehen. Und ein Foto ist für uns heute der Inbegriff eines dokumentarischen Beweises: „So, genauso ist es gewesen. Da sieht man es ja, wie es war!“

So verwundert es nicht, dass wir Mühe haben mit den Festen des christlichen Kalenders. Wir feiern sie, weil sie den Rhythmus des Arbeitslebens (noch) bestimmen, aber das Verstehen macht uns oft Mühe. Sie stammen aus einer Zeit, als der Inbegriff der Realität nicht der Schnappschuss war, sondern das „Ganze“.

„Auffahrt“
Von der Auffahrt gibt es aber keinen Schnappschuss. Christi Himmelfahrt in den Kategorien des fotografischen Wirklichkeits-Denkens zu begreifen, macht daraus eine absurde Wunder-Erzählung. Als ob man „das Ganze“ fotografieren könnte. Das Ganze „zeigt sich“ immer mal wieder im Leben, aber es ist nie als Ganzes handgreiflich da.

Im kleinen Kind ist der erwachsene Mensch schon angelegt, aber der Erwachsene ist noch nicht so da, dass man ihn im Gesicht des Kindes fotografieren könnte. Der Blick der Eltern oder Grosseltern ahnt ihn vielleicht in seinen Zügen, und sie sehen auch die Verwandtschaft zu den Vorfahren. Der Kleine gleicht seinem Grossvater. Der ist im Kind auch vorhanden. Aber das ist Realität, die man weiss; fotografieren kann man sie nicht.

Schatzsuche
Die Bibel ist ein riesiges Gemälde. Wenn Sie eintreten, ist es, wie wenn Sie in Ihren Ferien durch die Tempelanlage einer versunkenen Zeit wandern. Bild auf Bild ist auf die Wände gemalt. Und je mehr sie sich darauf einlassen, desto mehr schwindet die Distanz der Zeit. Sie lernen das Bild lesen und sich aus dem Ganzen heraus verstehen, wie es hier dargestellt ist. Da wird Archäologie zu einer Schatzsuche. Es wird zu einem spannenden Abenteuer.

 

Zum Fest der Auffahrt oder Himmelfahrt