Dank und Segen

Es ist ein schöner Brauch, an Allerseelen oder am Totensonntag auf das Grab der Angehörigen zu gehen. Mit dem Älterwerden wird es einem wichtig. Es ist voller Ruhe und Schönheit. Jüngere haben vielleicht noch offene Fragen. Da kann Versöhnung geschehen. Und das Vergangene öffnet eine Türe in die Zukunft.

Drei Mal Dank
Wenn wir im Leben so weit kommen, das wir unserem Vater, unserer Mutter – der Generation, die vor uns gewesen ist – danken können, dann ist das zuerst vielleicht die Anerkennung für das, was sie gemacht haben. Wir erinnern uns ja, wie sie gearbeitet haben. Es war oft nicht leicht, die Familie durchzubringen.

Vielleicht gibt es aber auch das eine oder andere, was wir als Kinder nicht gut erlebt haben. Niemand ist perfekt. Und wenn wir so alt geworden sind, dass wir selber Kinder haben, wissen wir, wie anspruchsvoll die Aufgabe von Eltern ist. Darum ist im Dank an die Eltern auch das Verständnis für das, was vielleicht unterblieben ist.

Hier geht es nicht nur um das Verhalten unserer Eltern, sondern um die Menschen, die sie gewesen sind, ihre Persönlichkeit. Mit dem Dank bejahen wir das, was uns diese Menschen liebenswürdig gemacht hat, aber wir bejahen auch das, was uns seinerzeit vielleicht verletzt hat. Denn es gehört zum ganzen Menschen. Und das ist der Mensch, den wir gern haben.

Versöhnung
Und zuletzt ist im Danken auch der Respekt für das Schicksal, das in ihrem Leben zum Ausdruck kam. Wir alle erleben unsere Grenzen. Wir können nicht alles steuern, wie wir wollen. So gibt es in jedem Lebenslauf Ereignisse, die wir so, in dieser Art, vielleicht nicht angestrebt haben. Mit dem Danke-Sagen können wir es stehen lassen. Wir zeigen den Respekt, den wir für den Lebensweg haben und werden frei, unseren eigenen Weg zu gehen.

Wer so danken kann, der hat schon viel an Versöhnung erfahren. Er muss den Eltern keine Vorwürfe mehr machen, weil sie etwas versäumt haben. Er fühlt sich in Übereinstimmung mit dem Vater oder mit der Mutter. Und das gibt ihm auch Kraft für sein eigenes Leben. Er trägt keine inneren Konflikte mit sich rum, die seine Energie aufzehren. Er findet Ruhe und Sicherheit für sein Leben.

Segen
Das ist jetzt die Kehrseite des Dankens, was das altmodische Wort „Segen“ bezeichnet. Es ist das, was die Eltern ihren Kindern weitergeben. Beides gehört zusammen, der Dank der Kinder und der Segen der Älteren. Darum heisst es in der Bibel: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebest in dem Lande, das der Herr, dein Gott, dir geben will.“ (Ex 20,12). Es ist nicht nur ein Gebot, es ist auch eine Zusage dabei für die neue Generation: dass ihr Weg auf diese Weise gelingen kann, dass auch sie den Weg finden ins „gelobte Land“.

 

Zum Fest Allerseelen bzw. zum Totensonntag
Aus Notizen 1999
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