Was ist das – ein Leben?

Was ist das überhaupt – ein Leben?

 

Immer wieder machen wir uns Bilder davon, bewusst und unbewusst. Es gibt Situationen, wo wir davon erzählen: Wenn wir jemanden kennenlernen. Oder wenn wir uns um eine Stelle bewerben. Und wir erzählen davon, wie es üblich ist: Ausbildung, Schulen, berufliche Erfolge…

Auch unbewusst tragen wir Bilder mit uns, was das sei: unser Leben. Schon kleine Kinder werden geprägt von der Situation in ihrer Familie. Das älteste Kind lernt oft, Verantwortung tragen für seine Geschwister. Jüngere Kinder werden vielleicht „verwöhnt“, oft kämpfen sie um Anerkennung. Sie werden zu Friedensstiftern, wenn es Spannungen gibt in der Familie. Es gibt viele Rollen, die Kinder übernehmen und die sie auf ihrem weiteren Weg begleiten. Oft realisiert man es erst in späteren Jahren, dass man sich schon in der Kindheit eine Rolle auf den Leib geschrieben hat.

Was ist das Leben? – Sind es die Rollen, die wir spielen?

In der Pubertät tauchen die grossen Pläne auf. Das will man erreichen! Dorthin will man gelangen! Und man spannt den Bogen auf für ein langes Erwachsenen-Leben. Der Aufstieg beginnt, der Ehrgeiz treibt einen fort.

Und manchmal, wenn man es „erreicht“ hat, wenn man „gezeigt“ hat, dass man das kann – dann tauchen neue Ziele auf. Andere Bedürfnisse werden wach, die zurückstehen mussten in der Zeit des Aufbaus. Ruhigere Töne werden jetzt hörbar. Sie gehören auch zu unserem Leben.

Und wieder fragen wir: Ist es das, das Leben?

Wenn wir älter werden, verändert sich der Blick auf unser Leben. Beweisen müssen wir nichts mehr. Die Prägungen der Kindheit sind uns vertraut. Wir wissen, es gibt auch ein inneres Wachsen. Wenn wir Kinder haben, verändert sich der Blick auf unsere Eltern. Wir können unserem Vater, unserer Mutter anders begegnen. Wir verstehen sie besser. Wir stehen jetzt in derselben Situation wie sie damals, als wir klein waren. Aber jetzt erleben wir die Situation aus der Erwachsenen-Rolle.

Und manchmal, wenn wir an unsere Eltern denken, ist es, als ob wir in den Spiegel schauten. Und wir können ihnen die Hand reichen, über all die Jahre hinweg, über den Abstand der Generationen hinweg. Wir sind wie sie! Und wenn da etwas war, was uns trennte, so kann es sich jetzt versöhnen. Das gehört auch zum Leben – dieser innere Weg.

Das schreibt man nicht in einen Lebenslauf, aber man erzählt es vielleicht einem guten Freund, einer guten Freundin. Es gehört zu uns, es zeigt, wer wir sind.

Es ist ein Weg, der irgendwo beginnt – den Anfang können wir nicht aussuchen -, aber wir nehmen es in die Hand. Vielleicht reiben wir uns eine Zeit lang daran. Vielleicht lehnen wir uns auf gegen etwas, was der Zufall der Geburt uns in die Wiege gelegt hat. Aber mehr und mehr lernen wir, es anzunehmen. Und wir wachsen daran.

Ist das jetzt das Leben? – Ist das Geheimnis jetzt enthüllt, wer wir sind?

Wenn wir älter werden, müssen wir Abschied nehmen. Und wir denken an Menschen, die uns gestorben sind. Wir nehmen die Fotoalben hervor. Wir interessieren uns für das, was unsere Eltern erlebten, als sie klein waren. Wie war das mit den Grosseltern? Und was war vor ihnen?

Manchmal gibt es Geschichten, die gehen von Generation zu Generation. Manchmal gibt es Prägungen, die reichen weit in die Vergangenheit zurück, und sie setzen sich fort in die Zukunft hinein. Vieles, was wir übernommen haben, geben wir weiter an unsere Kinder. Vieles ist zum Guten, und wir staunen, was die Kinder alles aufgenommen haben, wie sie kreativ damit umgehen! Manchmal gibt es auch Züge, die weitergehen, wir hätten es lieber verhindert.

Verhaltensweisen vererben sich oft von Generation zu Generation. Manchmal ist es wie ein Leiden in einer Familie. Und wir spüren – es ist wie ein Auftrag, der von den Vorfahren her kommt. Einmal soll das aufhören! Und wieder wird der Blick auf das Leben ausgeweitet – wir sind Teil einer ganzen Generationen-Kette. Wir wissen oft nichts davon, aber unbewusst tragen wir manchmal einen Auftrag mit uns mit, der von weit her kommt in der Ahnenreihe!

Unser Leben!

In diesen Jahren werden wir konfrontiert mit vielen Fragen: wie es weiter geht in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, auf dieser Erde. Das Leben läuft nicht mehr selbstverständlich. Vieles stösst an eine Grenze. Wo sind die Wiesen und Wälder unserer Kindheit? Wie geht es weiter in den nächsten Generationen? Die Entwicklung des Klimas ist eine Frage, die heute vielen Sorgen macht. Wie geht es weiter mit der Menschheit auf diesem Planeten?

Ist das auch unser Leben? Müssen wir da auch eine Antwort haben? Unsere Fragen: Wenn wir sie richtig stellen wollen, müssen wir die ganze Welt dazu nehmen. Unser Leben? – Wir müssen von der ganzen Menschheit erzählen.

Ein Leben erzählen
Wir können den Rahmen immer weiter spannen, im Äusseren, bis wir begreifen was das ist: das Leben. Wir können aber auch ins Innere gehen. Denn da finden wir das Geheimnis auch, es ist uns ganz nah. Es wohnt auch in unserm Innersten.

Wenn wir sagen wollen, wer wir sind, müssen wir Geschichten erzählen. Und wenn wir unser Leben erzählen, beginnen wir mit dem Geburtsdatum. Das ist etwas, was uns gegeben ist: „Datum“ ist das lateinische Wort für „gegeben“. Mitten in all dem, was wir aus unserem Leben gemacht haben, ist das, was uns gegeben ist. Mitten in allem Tun ist etwas, was wir empfangen haben.

Das Leben kommt auf zwei Arten auf uns zu: durch unser Tun und durch das Empfangen. Das Tun, das ist uns sehr bewusst. Das steht in unserer Agenda. Das beschäftigt uns den ganzen Tag, und oft noch bis in die Nacht. Das Empfangen geht über all dem Tun oft vergessen. Dabei ist es zuerst. Das Leben ist uns geschenkt – und mit dem Leben auch all das, was wir zum Leben brauchen: eine Erde, die uns versorgt, mit allem, was wir brauchen und was wir ihr durch unsere Arbeit abringen können. Geschenkt sind uns unsere Kinder, unsere Freunde, die Familie, und alles, was zu dieser Sphäre gehört: Zuneigung, Wärme, Geborgenheit.

Das ist das, was wir empfangen und weitergeben, was ohne Zweck zu uns kommt, was „gratis“ ist, was nichts kostet und was doch unendlich teuer ist. Das spüren wir, wenn es uns fehlt. Ohne das, was wir geschenkt bekommen, ist all unser Tun nichts. Es ist wie Rudern auf dem Trockenen, Flügelschlagen im luftleeren Raum.

Darum ist da noch etwas, was wir berücksichtigen müssen, wenn wir verstehen wollen, was das ist: unser Leben. Das ist all das, was vor uns da war. Wenn wir ein Leben richtig erzählen wollen, müssen wir auch dieses Geheimnis mit einbeziehen, diese Kraft, die alles hervorbringt und trägt und die alles an ein Ziel bringt. Eine solche Lebensbeschreibung ist der Psalm 23.

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen,
Er weidet mich auf grüner Aue.
Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er leitet mich auf rechtem Weg – um seines Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
ich fürchte kein Unglück;
denn Du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

Du deckst mir den Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl,
Du schenkst mir den Becher randvoll.
Du wandelst meine Tage in Glück und Gnade,
und ich bleibe in Deinem Haus mein Leben lang.

So sollen wir von unserem Leben denken: Es hat einen wunderbaren Ursprung, es kommt von Gott. Und Gott führt es auch ins Ziel, und das ist nicht weniger wunderbar als der Anfang.

Und so dürfen wir an die Menschen zurückdenken, die gestorben sind. Sie sind aufgehoben bei Gott. Bei ihm haben sie eine Heimat über alles Verstehen hinaus. Bei ihm findet ihr Weg ins Ziel. „Du wandelst meine Tage in Glück und Gnade, und ich bleibe in Deinem Haus mein Leben lang.“

 

Der Hirte ist ein zentrales Symbol in der Bibel. Davon erzählt das Streiflicht «Der Hirte» (auf der Menü-Leiste anklicken)

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