Zwischen Rausch und Askese

Über die Festtage wurde manche Flasche entkorkt. Sylvester war auch eine Begegnung mit Rausch und Drogen. Partydrogen werden heute im Abwasser der Grossstädte nachgewiesen. Die Kultur reagiert mit Einschränkungen und Rauchverbot. Unsere Kirchengemeinde suchte einen Weg zur Suchtprävention. Müsste eine Kirche nicht die Sehnsucht verstehen, die sich in der Sucht verbirgt? Was haben Rausch und Religion miteinander zu tun?

 

Jugendliche suchen die Grenzerfahrung. An der Grenze erfahren wir, wer wir sind. So experimentieren Jugendliche auch mit dem Bewusstsein. Sie trinken, rauchen, kiffen. Der Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter war früher oft von Initiations-Handlungen geprägt.

Die religiösen Einweihe-Riten in anderen Kulturen, bei denen bewusstseins-verändernde Stoffe konsumiert wurden, gibt es bei uns kaum oder nur in gezähmter Form. So hören die konfirmierten Jugendlichen von ihrer Verwandtschaft oft den Satz, dass sie jetzt Wein oder Bier trinken dürften. Beim Abendmahl, zu dem man früher mit der Konfirmation zum ersten Mal zugelassen wurde, wird aber alkoholfreier Traubensaft getrunken.

 

Berauschung
Das Experimentieren findet fern von Schule und Kirche statt, in den Begegnungs-Zonen der Jugendkultur. Dabei gibt es auch viel Tun-Als-ob, wie bei allen Mode-Erscheinungen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man nicht „out“ sein will.

Wir reagieren entsetzt, wenn Jugendliche mit Drogen hantieren. Fragen wir doch einmal weiter. Können Drogen das Leben steigern? Können sie eine Hilfe sein auf dem Lebensweg? In esoterischen Subkulturen, die mit Drogen hantieren, verweist man auf schamanische Praktiken und die von der Droge erschlossene „Seelenreise“ zum Ursprung.

Erschliessen Drogen also den Weg zu jener Quelle, aus der alle Wirklichkeit kommt, so dass der, der dort war, ohne Angst in sein Leben zurückkehrt? Und jetzt kann er seine Grenzen annehmen, weil er erfahren hat, dass er im Absoluten gehalten ist? Trifft das auf Drogen zu, verschaffen sie den Jugendlichen also ein „klassisches mystisches Erleben“, wie eine Webseite über „Zauberpilze“ verspricht?

 

Ernüchterung
Wer experimentiert, wird diesen Weg wohl bald enttäuscht verlassen. So wie viele Jugendliche den ersten Rausch als Erfahrung nehmen, sich nie mehr derart zu betrinken. Denn so „hunde-elend“ wollen sie sich nicht mehr fühlen.

Die im Rausch gemachten Erfahrungen werden in unserer Kultur nicht mehr religiös gedeutet. Schon in der Antike findet sich diese Abkehr von ekstatischen Techniken, weil sie nicht als hilfreich erlebt wurden.

Bei Platon findet sich noch die Erinnerung an eine Vorgeschichte, wo der „Seher“ in eine andere Welt „entrückt“ wurde. Aber bei ihm ist es nur ein Bild. Er beruft sich nicht auf rauschhafte Erfahrungen, sondern auf methodisch gewonnen Erkenntnisse. So beginnt der Weg der Wissenschaft. Er entwirft den Bildungsweg, der später in den Schulen aufgenommen wurde und der den Jugendlichen heute einen Werde-Weg ohne drogenhaft erweiterte Selbsterfahrung bietet.

Auch die Religion ist bald von ekstatischen Offenbarungen abgekommen. Der Apostel Paulus beruft sich zwar noch auf solche Erlebnisse. Auch er sei aus seinem Körper „entrückt“ und in einer Art Seelenreise bis in den dritten Himmel entführt worden. Aber das erwähnt er nur, weil seine Zuhörer von ekstatischen Predigern schwärmen. Was er mitteilt, sind keine psychedelischen Botschaften aus einer anderen Welt. Er lässt das „Zungenreden“ zwar gelten, aber er sagt: „Wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; und niemand versteht ihn.“ (1. Kor 14, 2)

 

Ein anderer Weg
Unsere Kultur ist abgekommen vom Rausch, er ist kein Weg mehr zur Erschliessung höherer Wahrheit. Er bringt der Gemeinschaft nichts ein und erschliesst auch dem einzelnen auf seinem Lebensweg keinen neuen Sinn.

Paulus zeigt einen anderen Weg, wie der einzelne zum Absoluten findet. Dort kann er seine Daseinsangst ablegen und frei werden für sein Leben hier auf der Erde. Er kann es annehmen, auch der Jugendliche an der Schwelle, der sich mit vielem schwer tut, was sein Leben auszumachen scheint. Er kann es annehmen, in all den Grenzen, die ihm vorgegeben sind.

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich alle Geheimnisse wüsste und allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“

Die Liebe löst ein, was der Rausch verspricht. Auch sie hat ihre „Entrückungen“, auch sie trägt den Menschen über sich selbst hinaus. Auch sie kann begeistern. Sie entzündet sich an einem Menschen und findet Erfüllung. Ihre Sehnsucht kann weitergehen, bis das „Ich“ zu einem absoluten „Du“ findet, wo es an ein letztes Ziel kommt.

Im Christentum gibt es keinen psychedelischen Weg der Einzelseele zu Gott. Die Menschen sind einander anvertraut. Am andern führt kein Weg vorbei, wie Christus gesagt hat: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ So ist die Liebe die Erfüllung dessen, was der Rausch verspricht. Sie ist der Weg zu Gott, zum andern, und zu sich selbst.

 

 

Aus einem Referat im Rahmen einer Tagung zur Suchtprävention 2009

Das Referat findet sich im Streiflicht «Sucht und Sehnsucht, Heiliger Rausch und nüchterne Sakramente» auf der Menüleiste des Blogs

Foto von Anna Shvets von Pexels