Sklaverei

Es ist eine erschütternde Erfahrung dieser Zeit, dass die Sklaverei, die man nach einer jahrhundertelangen Anstrengung für ausgerottet hielt, heute weltweit wieder im Vormarsch ist.

Es gibt wieder einen regelrechten Menschenhandel wie in den finstersten Zeiten des Kolonialismus, als Millionen von Schwarzen nach Amerika transportiert wurden. Nach Auskunft der Internationalen Arbeitsorganisation ILO werden heute jedes Jahr rund 2,4 Millionen Menschen Opfer von Menschenhändlern.

Dabei geht es auch um Prostituierte, die von Schleppern ins Land gebracht und ausgebeutet werden. Unfreie Arbeit gibt es heute aber in vielen Bereichen der Wirtschaft, von der Landwirtschaft und dem Bergbau über die Industrie bis zur Arbeit in Privathaushalten. Und es gibt sie nicht nur in fernen Ländern, so dass es uns nicht betreffen müsste, weil wir denken: das gehöre halt zu den „primitiven Verhältnissen in unterentwickelten Ländern“.

Leider ist es ein Zeichen von moderner Entwicklung, dass sie Zwangs-Arbeit und persönliche Unfreiheit wieder hervorbringt. Und es gibt sie in fast allen Ländern, auch in den USA, auch in Japan, auch in Europa. Es gibt Länder, die eine grosse arme Bevölkerung haben und wenig Zukunftsaussichten. Sie bilden ein riesiges Reservoir für Ausbeuter und Menschenhändler. Gefesselt werden die modernen Sklaven nicht mehr durch Ketten, sondern durch Verschleppung, fehlende Dokumente, Verschuldung gegenüber ihren Transporteuren und Gewalt (-Androhung).

Und es gibt noch eine Form, in der diese Arbeit in die Schweiz kommt. Sie steckt unerkannt in den Produkten, die wir importieren, im Gemüse, das auf unserem Tisch landet, in Früchten und Konserven aus dem Ausland. Oft sind diese unter Bedingungen hergestellt, die nicht nur unseren ökologischen Massstäben widersprechen. Sie werden teils auch unter sklaven-ähnlichen Bedingungen produziert.

Beim Propheten Jesaja sagt Gott: „Du sollst die Gefangenen aus dem Gefängnis führen. Und die da sitzen in der Finsternis sollst du aus dem Kerker befreien.“ (Jes 42,1f)

„Die Sklaverei ist abgeschafft“
2011 ist ein Jubiläumsjahr im Kampf gegen die Sklaverei. Es sind jetzt 150 Jahre her, seit der amerikanische Bürgerkrieg begonnen hat. Und das war auch ein Kampf gegen die Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten. Als Kind haben Sie vielleicht das Buch „Onkel Toms Hütte“ gelesen. Der Krieg endete 1865 mit dem Sieg der Nordstaaten. Damit wurde die Sklaverei in den USA beendet. So haben wir es in der Schule gelernt. Die Sklaverei – so schien es – verträgt sich nicht mit der modernen Zivilisation. Mit diesem Kapitel hat die Menschheit dank der Fortschritte in der Moderne ein für alle Mal abgeschlossen.

Umso grösser ist der Schock, zu erfahren, dass ausgerechnet diese Moderne jetzt wieder Sklaverei hervorbringt. Der amerikanische Soziologe Kevin Bales schätzt, dass heute wieder 27 Millionen Menschen in Sklaverei leben. Es sind nicht nur einige entlegene Gebiete oder Bereiche, wo das praktiziert wird, wie etwa Asien oder die Zwangsprostitution. Es hat sich angesiedelt mitten in der Wirtschaft. Die Armut vieler Länder bildet eine Verlockung. Viele Menschen ohne Zukunftsaussichten machen sich auf den Weg und erliegen oft skrupellosen Geschäftemachern.

Sklaverei in der Bibel?
Der Bibel wird manchmal vorgeworfen, dass sie nicht immer und an allen Stellen die Sklaverei total verwirft. In der Antike gehörte die Sklaverei zum Wirtschaftsleben. Das konnte nicht von heute auf morgen abgeschafft werden. So gibt es im Alten Testament Stellen, die die Sklaverei voraussetzen, aber eingrenzen.

Auch das Neue Testament fordert nicht zur Revolution auf. Die neu entstandene Kirche hat Sklaven aufgenommen, und diese nicht zur Revolution angestiftet. Man erinnerte sich damals noch sehr gut an die Sklavenaufstände im Römischen Reich, die blutig niedergeschlagen wurden. Am bekanntesten ist der Aufstand unter der Führung des Gladiators Spartakus im Jahr 73 vor Christus. 60.000 Sklaven und Anhänger wurden in der Schlacht getötet. 6.000 Überlebende wurden entlang der Via Appia vor Rom zur Abschreckung gekreuzigt. Die Kreuzigung als Mittel der Abschreckung – damit hatten die Christen auch Bekanntschaft gemacht.

Die Bibel ist keine Aufforderung zur Revolution. Aber sie erinnert daran, dass jeder Mensch als Abbild Gottes geschaffen wurde und eine unverlierbare Würde hat. In Rom hat sich die Sklavenwirtschaft ausgedehnt, weil die Kleinbauern verschwanden und die neuen Grossgrundbesitzer Sklaven für die Bewirtschaftung der Ländereien brauchten. Im alten Israel gab es ähnliche Entwicklungen. Hier haben sich die Propheten dagegengestellt:

„Weh denen, die ein Haus an das andere reihen und einen Acker zum andern bringen, bis sie allein das Land besitzen!“ heisst es bei Jesaja (Jes 5,8).

„Sie reissen Äcker an sich und nehmen Häuser, welche sie gelüstet; also treiben sie Gewalt mit eines jeden Hause und mit eines jeden Erbe. Darum spricht der Herr also: Siehe, ich ersinne über dies Geschlecht Böses, dass ihr euren Hals nicht daraus ziehen und dass ihr nicht so stolz daher gehen sollt; denn es soll eine böse Zeit sein!“ (Micha 2,2f).

Die Menschen, von denen die Bibel berichtet, haben über eine lange Zeit erlebt, was es bedeutet, unfrei zu werden, in Knechtschaft und Schuldsklaverei zu leben. Darum ist es nicht nur Moral, wenn sie dagegen auftreten. Es ist durch blutige Erfahrungen erlitten. Ich schliesse mit einem Satz aus dem Buch Mose:

„Wenn dein Bruder neben dir verarmt und sich dir selbst verkauft, sollst du ihn nicht als einen leibeigenen Knecht halten. (…) Denn auch sie sind meine Knechte, die ich aus Ägyptenland geführt habe. Darum soll man sie nicht wie Sklaven verkaufen! Du sollst nicht mit Strenge über ihn herrschen, sondern sollst dich fürchten vor deinem Gott.“

 

Aus einem Gottesdienst zum 1. Mai 2011

Bild aus «Onkel Toms Hütte» 1885. – Viele haben als Kinder dieses Buch gelesen und mit seinem Schicksal mitgefiebert. Dieses Buch hat mitgeholfen, die Sklaverei in den USA abzuschaffen. Seither wurde die Sklaverei weltweit geächtet. Zuletzt wurde sie 1980 im afrikanischen Staat Mauretanien abgeschafft. Inzwischen ist aber eine moderne Sklaverei entstanden, nicht nur in „rückständigen Gebieten“, sondern fast in allen Ländern, auch in den USA, Japan und Europa.