Ein Pfand für die Zukunft

Was bewegt die Welt am Jahresbeginn? Die Leitartikel in den Zeitungen haben Umschau gehalten. An den Sylvesterparties wurde Blei gegossen und das Orakel befragt. Was bringt wohl das Neue Jahr? Ich selber starte voller Optimismus in die Zukunft. Ich habe so etwas wie ein Pfand erhalten, dass es gut kommt. Und dieses gute Gefühl begann für mich ausgerechnet beim Zahnarzt.

Zwei Stunden sass ich in dem bekannten Stuhl. Der Arzt war jung, die Assistentin in seinem Alter. Irgendwann erlebt man das beim Älterwerden, dass die Menschen rund um einen plötzlich viel jünger sind. Und jetzt behandeln mich diese jungen Leute. Sie machen es gut. Ich kann die Anspannung loslassen und mich ihnen anvertrauen. Ein Gefühl der Ruhe überkommt mich. Ich erlebe einen Moment grosser Befriedigung, ausgerechnet in diesem Zahnarztstuhl. Ich begreife: die Zukunft ist nichts Unsicheres vor uns, in ungewisser Ferne. Der Generationen-Wechsel findet immer schon statt. Da sind schon die Jungen. Und sie halten das Heft in der Hand.

Ich nehme an einer Sitzung teil. Ich muss nicht erwähnen, dass ich auch hier der Älteste bin. Ich erlebe eine grosse Sorgfalt in den Gesprächen. Die Fragen werden hin und her gewendet, bis man eine Entscheidung fällt. Ich beschliesse, augenblicklich aus meiner „Grummelecke“ hervor zu kommen, wo ich mich versuchsweise verkrochen hatte, „weil die Jungen halt alles anders machen und das Alte nicht mehr zählt“. Ich fühle mich jetzt verstanden in dem Besten, was ich selber je angestrebt hatte in meinem Leben.

In dieser Nacht habe ich einen Traum. Ich bin reich. Viele Geldscheine liegen vor mir mit hohen Zahlen wie zur Zeit der Geldentwertung im Deutschland der 20er Jahre. Da konnte man für 100 Millionen kaum ein Brot kaufen. Darum frage ich mich im Traum: ob das Geld überhaupt noch etwas wert sei. Aber unter den Geldscheinen sind auch noch einige Briefmarken, die sind echt. So ist mein Reichtum vielleicht dahingeschmolzen, aber einige Marken sind noch da. Damit kann man immerhin Briefe schreiben.

Das hilft mir beim Älterwerden. Und es hilft mir am Anfang des neuen Jahres. Der Reichtum von früher, der zählt vielleicht nichts mehr. Es ist unsicher, ob man sich damit noch etwas kaufen kann. Aber das Beste, das ich selber je anstrebte, das ist nicht vergangen. Es hat die Gestalt einer Briefmarke. Damit könnte ich einen Brief an die Zukunft schicken. – Was könnte darin stehen?

Was könnten die Älteren den Jüngern mitteilen am Anfang eines neuen Jahres? –

Dass sie stolz sind auf die Jungen! Dass sie sich freuen über ihr Engagement! Dass sie dankbar sind und ihnen alles Gute wünschen!

 

Aus Notizen 2010