Fortschritt und Rückschritt

«Wie in Massa und Meriba» – diese Orte sind in der Bibel sprichwörtlich geworden. Sie erinnern an eine Episode aus dem Befreiungskampf, bei der Flucht aus der Sklaverei. Es kamen Rückschläge, das Ziel rückte in weite Ferne. Statt in der verheissenen Zukunft war man in einer Wüste gelandet und litt Mangel an allem. Die Menschen verzweifelten und revoltierten. Sie fühlten sich von Gott und Menschen verlassen.

Aufbruch…
Diese Situation wird später in der Bibel oft zitiert. Und wir kennen solche Situationen auch heute, wo ein grosser Aufbruch geschieht und dann lähmende Hindernisse auftauchen. Das gilt besonders bei den Gross-Problemen, die uns heute aufgegeben sind, wo alles global vernetzt ist und eine ungeheure Dynamik entfaltet, von der Klimafrage zum Artensterben, von der Pandemie zu Wohlstand und Verschuldung.

… und Lähmung
Die «Klima-Jugend», die vieles in Gang gebracht hat, ist auf Hindernisse gestossen. Es heisst, viele seien von der Politik desillusioniert und zögen sich zurück. Der «arabische Frühling», wenn wir uns ein paar Jahr zurückerinnern, hat Despoten gestürzt. Es ist deswegen nicht Demokratie eingekehrt. An manchen Orten auf der Weltkarte gibt es Staats-Zerfall, eine Spirale der Verelendung dreht sich.

Hier ist Verzweiflung nicht nur ein «Gefühl», hier ist es entscheidend, ob der Weg weiterverfolgt wird. Darum die harsche Reaktion in der Bibel. Durch das Fallenlassen des Vertrauens wird Gott «versucht», die Lösung rückt in weite Ferne.

Hader und Versuchung
Die Bibel erzählt von dem Volk in der Wüste. Sie finden Wasser und Nahrung, aber es dauert noch einmal 40 Jahre bis ins Ziel. Die ganze Generation, die damals zweifelte, wird nicht dabei sein. «Darum nannte Moses den Ort Massa und Meriba (Versuchung und Hader), weil die Israeliten dort gehadert und den Herrn versucht und gesagt hatten: Ist der Herr unter uns oder nicht?» (Exodus 17,7)

Die Bibel nutzt die Erinnerung, um den Menschen Mut zuzusprechen, später, in ähnlichen Situationen, als Resignation und Verzweiflung droht. Im Gottesdienst wird die Szene vergegenwärtigt. Der Psalm 95 stellt die Hörer mitten hinein:

»Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht, wie es geschah bei der Verbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste, wo mich eure Väter versuchten und prüften und hatten doch meine Werke gesehen vierzig Jahre lang. Darum wurde ich zornig über dieses Geschlecht und sprach: Immer irren sie im Herzen! Aber sie verstanden meine Wege nicht, sodass ich schwor in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.« (Psalm 95, 7-11)

Eine biblische Predigt
Wir alle sind wie das Volk in der Wüste, so höre ich aus diesem Text. Die einen hören, die andern nicht. Einmal können wir glauben, ein anderes Mal verlieren wir das Vertrauen. Wir versuchen Gott. Das geschieht in der „Verbitterung“, wenn wir ein Erlebnis nicht verarbeiten können, uns nicht versöhnen mit der Wirklichkeit, mit Gott und unserem Leben. So kehren wir uns nicht davon ab, wir“ verstocken“ uns. Wir hören nicht mehr, was Gott jetzt, in diesem Augenblick, zu uns redet. Wir verpassen mit dem Augenblick das ganze Leben. Denn immer wieder steht dieses vor uns, in jedem Augenblick.

Der Psalm richtet einen Spiegel auf und lädt uns ein, uns darin zu betrachten.
„Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht, wie es geschah bei der Verbitterung“.

HeuteEs ist eine Botschaft für heute, jetzt! Für das, was mich jetzt beschäftigt!

Wenn ihr seine Stimme hören werdetHeute werden wir seine Stimme hören, heute wird er zu uns reden in dieser Sache, die uns jetzt gerade beschäftigt und vielleicht verdüstert. Gott ist keine Sache unserer Vergangenheit.

So verstockt eure Herzen nichtIch soll aufmerken, nicht weiterfahren in meiner üblichen Art, nicht weitertrotten in der Furche, die ich gezogen habe wie der Ochse auf dem Acker, der nur die viele Arbeit vor sich sieht.

Wie es geschah bei der „Verbitterung“Das vor allem, der Referenzpunkt all meines Denkens und Fühlens, was sich immer wieder durchsetzt und mein Leben in einem Gefängnis festhält, dass ich immer wieder dieselben Kreise ziehe. Davon soll ich mich lösen und ich kann mich lösen durch den Glauben an Jesus Christus, an die Vergebung und Erlösung und neuschaffende Kraft Gottes.

Es gab wohl jenes „schwarze Loch“, es gab wohl jenen Abgrund, in den ich gefallen war, es gab wohl das „nie wieder!“, das meine erschrockene Seele schon in der Kindheit geschworen hat. Es ist wie der Urknall meiner Selbstwerdung und es wirft das Echo noch heute durch das All meiner Gefühle und Gedanken, wie der astronomische Urknall noch heute an der Hintergrund-Strahlung am Himmel abzulesen ist, obwohl das 13 Mia Jahre zurückliegt. So ist der Moment der Schöpfung auch jetzt präsent.

Aber inzwischen ist der Schöpfer in seine Schöpfung eingekehrt, er hat ein Erlösungswort gesprochen, eine neues „Es werde!“ Und ich muss mich nicht mehr um das schwarze Loch drehen. Ich bin auf eine neue Bahn geworfen. Auf einen Nachfolge-Weg, der von der Erde zum Himmel führt. Ja, auch in den Tod, auch in das Schwarze und ins Dunkle. Dadurch wird es begrüsst und aufgenommen. Dadurch wird das Wort verkündigt in der Nacht, von dem Jesaja spricht, das Wort der Befreiung:

„Der Geist Gottes ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen.“ (Jesaja 61,1)

Dadurch werde ich frei, kann die Verbitterung hinter mir lassen und die Versuchung, indem ich wie das Volk in der Wüste bei Massa und Meriba spreche:
„Ist der Herr in unserer Mitte?“ – Ja, er ist in unserer Mitte. Er erleuchtet unseren Augenblick.

 

Aus Notizen 2015
Foto: Chemin des Zigzag, Fribourg