Gesucht: eine Welt

Eine Utopie in der Bibel

Als das Volk vertrieben war und im Exil etwas zur Ruhe kam, malten die Menschen sich aus, wie es wäre. Wie schön es wäre, wenn man wieder in die alte Heimat zurückkehren könnte! Wie ganz anders würden sie es jetzt machen als früher!

Schon zeichnete man Pläne für die neue Hauptstadt und für den Tempel, den man darin bauen wollte. So kam ein ganzer Verfassungs-Entwurf in die Bibel, ins Buch Ezechiel. Dort hat das alte Volk Israel eine Utopie festgehalten, einen Staat, in dem alles besser wird. Und wo man die Warnungen der Propheten ernst nimmt.

Propheten
Vorher, als sie im Lande wohnten, als sie alles hatten, von dem sie später träumten, hörten sie nicht darauf. Es war ihnen lästig, wenn einer kritisierte. Und die Propheten schob man zur Seite. Wenn heute die Bibel voll ist von Prophetensprüchen, dann weil man diese später gesammelt hat. Später, als das Unheil da war, hat man sich erinnert.

Und als man nach der Katastrophe neu anfangen musste, waren sie der Anknüpfungspunkt. Alle haben damals mitgemacht, ihre Glaubwürdigkeit war vertan. Aber die Warner, die ihr Leben riskierten, diese haben die Ehre gerettet. Sie gaben ein anderes Bild von der Art, wie man leben wollte. Jetzt identifizieren sich alle mit ihnen. Und in der Verfassung für den idealen Staat, in der Utopie, die man dereinst verwirklichen will, bekommt der Prophet ein Wächter-Amt. Und man verspricht, dass man beim nächsten Mal auf ihn hören will.

Ähnlich geschieht es heute mit denen, die vor Fehl-Entwicklungen warnen. Nun gibt es viele Angst-Themen, die heute in den Medien auftauchen und morgen wieder verschwinden. Die Klima-Änderung gehört nicht dazu. Sie wird uns wirklich beschäftigen. Wer sich in dieser Frage engagiert, wundert sich, warum das Thema so wenig interessiert. Die Leute gehen lieber dem Vergnügen nach. Aber es ist wohl nicht passives Desinteresse, es ist ein aktives Verdrängen. Das Thema macht Angst, man weiss nicht, wie man damit zu Rande kommt. So schiebt man es auf die Seite. Aber dieses Verhalten kann von heute auf morgen kippen. Es braucht nur ein Ereignis in der Nähe, das man nicht mehr ignorieren kann, schon beginnt die Hexenjagd. Schon beginnt die Suche nach Schuldigen und andere Formen, wie man damit zu Rande kommen will.

Im September ist „Erntedank“. Ein „altmodischer“ Anlass für eine aktuelle Sache: einen Stopp einlegen in der Betriebsamkeit, sich besinnen, wovon wir leben. Sich aufmachen für das, was Not tut. Zur Kenntnis nehmen, was schon getan wird.

Gut, dass es immer wieder Propheten gibt. Sie stören, sind lästig. Gewöhnlich schiebt man sie auf die Seite. Und sammelt ihre Sprüche nachher, nachdem sie Recht bekommen haben. Nächstes Mal, wenn wir Gelegenheit haben für einen Neuanfang, dann hören wir auf sie. Oder sollten wir uns etwa heute schon stören lassen?

 

Zum Erntedank-Fest
Foto von Felix Mittermeier von Pexels
(Aus «Das Hingabe-Verbot.» Notizen 2010)