Im Licht

Fünf Monate Pfarrer – bald ist es ein halbes Jahr, dass ich in diesem für mich neuen Beruf arbeite.

Im Schatten
In diesem Beruf bin ich plötzlich eine öffentliche Person, aber ich fühle mich nicht immer in „Vorzeigeform“. Ich trage ungelöste Fragen mit mir herum. Meine erste Reaktion ist dann oft, mich wegzuwenden, um mein Privatleben zu schützen.

In diesem öffentlichen Beruf werde ich plötzlich viel intensiver mit meinem „Schatten“ konfrontiert. Wo ich so viel von mir öffentlich zeigen soll, spüre ich plötzlich, wieviel von mir ich eigentlich gar nicht vorzeigen will. Es sind Seiten an meinem Charakter und Erfahrungen aus meinem Leben, von denen ich früh gelernt habe, sie abzulehnen.

In Vorzeigeform
Und es gibt auch Stimmen in der Kirche, die von einem Pfarrer stellvertretende Perfektion erwarten. Er soll verkörpern, was er verkündigt, andernfalls ist er unglaubwürdig. Daher geht es hier nicht nur um den „Schatten“, es erfordert nicht nur eine psychologische, sondern auch eine theologische Antwort.

Einverstanden: Ich will verkörpern, was ich verkünde. Aber die Bibel zeigt uns die Kirche nicht als eine Elite von „Perfekten“, im Gegenteil: Gerade die Blinden und Lahmen sind eingeladen, an die Mühseligen und Beladenen geht der Ruf. Kirche ist in der Bibel keine Gemeinschaft, die schon am Ziel wäre, sie ist auf dem Weg. Darum sind wir – biblisch gesprochen – immer in Vorzeigeform. Wir können immer Rechenschaft geben über unser Leben, auch wenn wir nicht im Erfolg schwimmen und uns nicht einbilden, dass wir unser Leben „im Griff“ hätten. Wo wir in aller Schwäche hoffen, glauben und vertrauen, da sind wir wahre Christen.

 

(Aus dem Buch „Geborenwerden, wachsen und reifen, Notizen 1992 – 1998.
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