Ein Lied in Dir

Im alten China gab es ein Musik-Instrument, eine Art Laute, die war so gebaut, wie man sich die Welt vorstellte. Da war die Erde nachgebildet im Boden des Instruments. Darüber wölbte sich der Himmel, nachgebildet in der Rundung des Schallkörpers. Darüber waren fünf Saiten gespannt, nach den fünf Elementen, aus denen nach damaliger Auffassung der ganze Kosmos besteht.

Ein Instrument wie der Kosmos
Dieses Instrument, das Kin, war aufgebaut wie der Kosmos, und wenn man darauf spielte, so wurde der Kosmos bewegt. Es rührte an die Ordnung, die überall zugrunde liegt, in der Natur, im Menschen. Alte chinesische Legenden berichten, wie so selbst Tote wieder zum Leben erweckt wurden.

Ein solches Instrument gab es auch im alten Griechenland, und Orpheus war sein Meister. Wenn er spielte, so berichten die Legenden, neigten sich die Bäume, um zu lauschen. Die Tiere kamen, und Wolf und Schaf vergassen ihre Feindschaft. Mit seinem Spiel bewegte Orpheus die Kräfte des Kosmos, und er erweckte sogar die Toten zum Leben.

Der wahre Orpheus
Diese Legende von Orpheus kannte man damals im ganzen griechischen Kulturkreis. Und als die junge Kirche sich vor 2000 Jahren in dieser Welt ausbreitete, nahm sie dieses Bild auf, um ihren Glauben an Jesus Christus zum Ausdruck zu bringen. Christus ist der wahre Orpheus, sagte sie: Er spielt die Musik des Kosmos, er kennt die Ordnung, die allem zugrunde liegt. Er war bei der Schöpfung dabei, er hat eine Melodie in alles gelegt, was da ist. Und es entfaltet sich nach dieser Melodie.

Er ist der Erlöser, in ihm begegnet uns der Klang, der vor Urzeiten in die Schöpfung erging. Er ist die Harmonie in all den Stimmen, der Zusammenklang all der vielen Melodien. Und wo ein Misston erklingt in unserm Leben und Zusammenleben, wo eine Saite sich verzogen hat, da stimmt er die Saiten neu.

Er rührt eine Saite in uns an. Und wir fühlen uns berührt. Er kennt die Melodie, die in uns ruht. Er bringt sie zum Klingen. Er kennt den Rhythmus. Vielleicht kennen wir die Bewegung noch nicht, die unsere Schritte leiten wird. Vielleicht ist uns die Harmonie noch unbekannt, in der die Stimmen einst zusammenklingen werden. Es wird ein grosser, kosmischer Gottesdienst. „Dank sei Dir, denn Du hast ein neues Lied in meinen Mund gelegt“, heisst es in einem Psalm.

 

Zum Sonntag Cantate
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