Mission ohne Unterdrückung?

Pfingsten gilt als Geburtstag der Kirche. Der Auferstandene erscheint den Jüngern und schickt sie in die Welt: «Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker.» (Mt 28,18) Mission hat einen schlechten Ruf. Gibt es Mission ohne Kolonialismus? Lässt sich Glaube verbreiten ohne zu unterdrücken? Ist der Wahrheitsanspruch des Christentums autoritär?

Mission und Kolonialismus – diese beiden Strömungen kreuzten sich beispielhaft im Leben von Bartolomé de las Casas. Die Frage, wie man das Evangelium verbreiten kann, ohne andere damit zu unterdrücken – diese Frage lässt sich an seinem Leben auf eindrückliche Art verfolgen.

Priester und Eroberer
Las Casas lebte im 16. Jh., in der Zeit des Kolonialismus. Er war selber beteiligt an der spanischen Eroberung von Mittelamerika. Und er war der erste in Lateinamerika geweihte Priester. Später war er Bischof und hoher kirchlicher Würdenträger. Ihm war der Glaube wichtig und dass man ihn weitergibt.

Er stammte aus einer Familie von Eroberern. Sein Vater und sein Onkel hatten Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise nach Westindien begleitet. Auch Bartolomé brach als junger Mann auf einem der Entdeckerschiffe in die neue Welt auf. 1502, er war etwa 18 Jahre alt, reiste er in die neue Welt. 1511 nahm er als Soldat an zwei Feldzügen teil. Sie eroberten die Insel Hispaniola (bei Kuba). Und er erhielt einen Anteil an der Beute: Er bekam Land und eine Anzahl von Eingeborenen, die für ihn arbeiten mussten. Gleichzeitig liess er sich zum Priester weihen.

Sein Weg scheint eine Bestätigung der Auffassung: Kirche und Mission seien mitbeteiligt an der Ausbeutung der Kolonien. Aber schon die Mönche des Dominikaner-Ordens, die 1510 als Missionare in die Neue Welt gekommen waren, setzten sich für die Ureinwohner ein und klagten die ungerechte Behandlung durch die Conquistadores an. Sie verweigerten jedem die Sakramente, der Indios besass und als Sklave für sich arbeiten liess.

Vom Eroberer zum Verteidiger
Bartolomé sah, was mit den Indios geschah, wie man ihnen unter dem Deckmantel der Evangelisierung das Land wegnahm und sie als Sklaven arbeiten liess. Es schien ihm nicht recht, nicht in Übereinstimmung mit dem Evangelium. Und er lehnte sich immer mehr dagegen auf. Mission kann niemals gewalttätig erfolgen, so war er überzeugt. Man muss sie von Eroberung und Kolonialisierung trennen. Bartolomé wurde einer der ersten Verteidiger der Menschenrechte der Indios. Er geriet in Konflikt mit den spanischen Siedlern in der Neuen Welt. Diese verleumdeten ihn und schwärzten ihn beim Kaiser an. Sie bedrohten ihn mit dem Tod, so dass er sich schliesslich von seinen Ämtern entbinden liess.

Sein Eintreten für die Menschenrechte hat ihm später weltweite Beachtung verliehen. In Spanien gibt es aber bis heute kein Denkmal für ihn. Die Befreiungs-Theologie (die seit den 60er Jahren in Lateinamerika entstand) hat ihn wiederentdeckt. Diese Theologie setzt sich ein für die Rechte der Armen. Für sie ist Bartolomé de las Casas ein Vorkämpfer für die Rechte der Indios und ein “Leitbild“ für eine Kirche, die befreit statt unterdrückt.

Der Protektor
Nicht nur in der Kirche, auch im spanischen Staat hat Bartolomé de las Casas hohe Ämter bekleidet. Er informierte den spanischen Hof über die Situation in den entdeckten Gebieten. Er hat erreicht, dass diese gesetzlich besser geschützt wurden. Kaiser Karl V. ernannte ihn zum „Universellen Protektor aller Indios in Westindien“.

Bald stiess er aber an eine Grenze. Denn da waren die materiellen Interessen an den Kolonien. Sein Versuch zu einer friedlichen Besiedlung von Venezuela wurde von gewalttätigen Eroberern unterlaufen. Sklavenjäger fielen in das Land ein. Es kam zu einem Gemetzel. Er zog sich in ein Kloster zurück. Dort verfasste er mehrere Berichte zu seinen Erfahrungen, die in der Geschichte weiterwirkten.

Die Bibel sträubt sich
Am Anfang seines Protestes und seines Engagements für die Indios stand seine Auseinandersetzung mit der Bibel. Das zeigt: Die Missions-Geschichte war nicht immer eine Geschichte der Unterdrückung. Die Bibel selber sträubt sich gegen eine gewalttätige Verbreitung. Wer sie liest, sieht sich angenommen und bestärkt. Die Bibel pocht darauf, dass man die Menschen achten und ihnen mit Respekt begegnen soll als Ebenbild Gottes.

Das ist Bartolomé klar geworden, als er eine Pfingst-Predigt vorbereitete. An Pfingsten geht es um die Kirche und um ihre Sendung in der Welt. Kann das geschehen durch Gewalt und Unrecht? Es war 1515 in Trinidad. Da sollte er eine Stelle aus Jesus Sirach auslegen: „Der Arme hat nichts zum Leben als ein wenig Brot; wer ihn auch noch darum bringt, der ist ein Mörder.“ (34,24)

Vom Glauben schweigen?
Christus beauftragt seine Jünger in der Bibel, das Evangelium auszubreiten. Der Missbrauch der Mission für den Kolonialismus hat diese schwer belastet. Viele Jahre haben die Grosskirchen kaum über Mission gesprochen. (Was ihr den Vorwurf der Freikirchen eingetragen hat: Ihr seid nicht missionarisch!)

Die Geschichte von Bartlomé de las Casas zeigt, dass Mission nicht aus sich gewalttätig ist. Sie ist in der Geschichte missbraucht worden zur Rechtfertigung von Eroberung und zur Aneignung von fremdem Territorium. Der Inhalt der Bibel zeigt etwas anderes: Sie leitet dazu an, die Menschenwürde in jedem Menschen zu achten.

Im ersten Testament wird das ausgedrückt in der Schöpfungsgeschichte: Der Mensch ist geschaffen nach Gottes Bild. Es wird wiederholt in der Befreiungs-Geschichte. Auch Israel war ein Sklave in Ägypten; daran wird immer wieder erinnert und die Sklaverei wird verboten: „Wer einen Menschen raubt, gleichgültig, ob er ihn verkauft hat oder ob man ihn noch in seiner Gewalt vorfindet, wird mit dem Tod bestraft.“ (Ex 21, 16)

Im zweiten Testament setzt sich Christus im Gleichnis vom Jüngsten Gericht mit allen Menschen gleich: „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25)

Darf man noch vom Glauben sprechen?
De las Casas sagte, es gebe nur eine Art, die Menschen zur wahren Religion zu führen, „nämlich die Einsicht, die durch Gründe erzeugt, den Willen sanft anlockt und mahnt. Diese Art muss allen Menschen der Welt entsprechen.“

Kein Volk dürfe der kostbaren Wohltat des Evangeliums beraubt bleiben. Wer den Glauben verbreiten wolle, müsse aber auch entsprechend leben und das Evangelium im eigenen Tun bezeugen. Das vertrage sich nicht mit Herrschaft. Der Hörer müsse aus dem Leben der Missionare ablesen können, dass sie „keinen zeitlichen Gewinn“ anstrebten. „Die Boten des Evangeliums sollen sich demütig, milde und hilfreich zeigen, so dass man ihrer Lehre mit Freude und Achtung begegnet.“

 

Aus Notizen 2012
Bild: Bartolomé de las Casas, Appletons‘ Cyclopædia of American Biography