Palmsonntag eines alten Mannes

Heute Abend kommen die Kinder. Dann werden wir zusammen um den Tisch sitzen wie früher. Aber es ist jetzt nicht diese Stimmung des Aufgehobenseins von früher. Ich bin ein alter Mann geworden, die Kinder schon lange ausgezogen. Die Zeit läuft aus. Sie steigt nicht mehr auf zu neuen Aufbrüchen und Aufgaben. Alles ist in Elegie getaucht.

Es geht einem Ende zu. Aber muss das elegisch sein? Es gibt ein Ankommen für den Weg. Eine Herbstlandschaft taucht vor mir auf. Der Weg durch den Wald lichtet sich. Die tiefer stehende Sonne scheint schräg unter den Ästen auf den Weg und taucht alles in ein warmes, freundliches Licht. Der Wald öffnet sich auf Wiesen und Felder. Bald tauchen wohl die ersten Häuser auf, ein Dorf, ein Ort, der zu meinem Weg gehört. Es ist ein sonniges Gehen, in Licht und Wärme getaucht. Da ist kein Raum für Elegie. Es ist Dankbarkeit, freudiges Zurückblicken, eine Vorwärts-Freude auf das Ankommen.

Eine dunkle Zeit
Das gehört auch zur Vorbereitung auf Palmsonntag. Es ist nicht nur der Ernst vor den grossen Ereignissen, die sich am Horizont abzeichnen. Es ist nicht nur eine Zeit der Busse, der Selbst-Anklage, der Bitte um Vergebung. Das alles auch. Und es tröstet mich, die Worte der Kommunion zu sprechen: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Und der Trost, den es bringt, ist schon Kommunion, Gemeinschaft im Glauben und Vertrauen auf ihn.

Palmsonntag ist auch der Ausblick auf das, was danach geschah. Der Weg durch die Katakomben öffnet sich, man tritt hinaus in einen Garten, wie es ein Gedicht beschrieben hat. Unten in der Ferne ist Rom. Man hört die Glocken, sieht die Silhouette im Morgenhimmel. Es ist Ostermorgen!

Ein helles Licht
Palmsonntag ist ein freudiger Tag, mitten in der Passionszeit. Es ist ein Tag des Ausblicks auf dem Weg; des Ankommens, obwohl das Schwerste noch bevorsteht; der Vergewisserung, obwohl die Prüfung erst noch kommt. Das gemeinsame Mahl, das er eben noch zum letzten Mal gefeiert hat – das nächste soll im Reich Gottes sein! – das gemeinsame Mahl bringt uns zusammen: Wir setzen uns in der Gewissheit, dass wir daran teilhaben werden. Wir trinken und essen wie Gäste, obwohl das Gewissen uns anklagt, aber er spricht uns frei. Wir freuen uns, obwohl so vieles auf der Welt noch auf dem Weg ist und ins Dunkle zu steuern scheint, aber er wird hindurchgehen und uns den Weg weisen.

Jetzt wird wahr, was er als Verheissung ausgesprochen hat:
Selig sind, die auf Gott vertrauen; denn ihrer ist das Reich der Himmel
Selig sind die Trauernden; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Demütigen; denn sie werden die Erde erben.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen gesättigt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heissen.

So darf ich auf die Zukunft zugehen, auch als alter Mann. So darf ich mich freuen und mich mit den Kindern an den Tisch setzen, Gott ist mit uns. Ostern sehen wir uns wieder, zuerst sah es nicht danach aus, bei all den Verpflichtungen, die sie haben. Aber jetzt ist es in die Agenda eingeschrieben, wir werden zusammen am Tisch sitzen.

 

Foto von Marcus Lenk, Pexels