Soll man Unrecht einfach stehen lassen?

Auffahrt – Plädoyer für ein Fest

Ostern sagt: Christus ist gestorben und auferstanden. Ist damit alles in Ordnung? Ist er nicht zu Unrecht verklagt und hingerichtet worden? Mit Ostern kann der Zyklus der Feiertage nicht abbrechen. Die Himmelfahrt gehört dazu, unbedingt, oder wir müssen auf wesentliche Bedürfnisse unseres Menschseins verzichten. Ein Plädoyer für ein verkanntes Fest.

Soll man Unrecht einfach stehen lassen?
Soll man Unrecht einfach stehen lassen? Der Täter geht unbestraft davon, das Opfer liegt am Boden? Der Gedanke ist schwer zu ertragen. Und wenn das Unrecht regiert – wer kann noch sicher sein? Wir kennen aus der Geschichte Ausnahmesituationen, wir sehen sie heute noch in den Nachrichten aus Konfliktgebieten. Wenn Aufruhr herrscht, wenn das Recht aufgehoben scheint: wie da plötzlich Hemmungen fallen, wie Geschäfte geplündert werden, alte Rechnungen mit Nachbarn beglichen. Die Leidenschaften gehen durch, andere nehmen das Recht in die eigene Hand. Und wir begreifen: Ohne Recht gibt es keinen Frieden und kein geordnetes Leben.

Es muss nicht mal Gewalt sein. Ohne das Vertrauen, dass Versprechen eingehalten und Erwartungen erfüllt werden, ist Zusammenleben nicht möglich. Treu und Glauben halten auch die Wirtschaft zusammen, das zeigt sich schon am Wort „Kredit“, in dem das Wort Glauben, Vertrauen (credere) steckt. In ähnlicher Weise gilt das für das ganze Geldsystem: eine Banknote, ein Stück Papier, als Entgelt für seine Arbeit zu akzeptieren, das erfordert Vertrauen, dass dieses Papier dann auch wieder in reale Werte umgetauscht werden kann.

Inflation
Das zeigt sich immer dann, wenn dieses Vertrauen zusammenbricht. So kommt es nach einem Krieg oft zu einer Hyper-Inflation. Das Geld verliert den Wert, täglich stündlich. Es taugt nicht mehr als Wertmesser. Wer heute arbeitet und morgen den Lohn bezieht, ist schon um die Hälfte betrogen. Wer etwas zu verkaufen hat, nimmt kein Geld mehr dafür, er will etwas Wertbeständiges, andere Waren. Die arbeitsteilige Wirtschaft bricht zusammen, sie wird auf die Stufe des Tauschhandels zurückgeworfen. Es wird deutlich: Arbeitsteilung braucht Vertrauen. Jede Form von Zusammenleben ist auf Treu und Glauben aufgebaut.

Etwas Ähnliches wissen schon die Kinder: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ In einer Welt, wo alle lügen, glaubt man niemandem mehr. Dann „funktioniert“ auch die Lüge nicht mehr. Wer also lügt, bestätigt mit seinem Lügen selbst, dass man nicht lügen soll. Er lebt von dem, was er verletzt. Und wieder zeigt sich: Treu und Glauben sind die Grundlage, ohne die ein Zusammenleben nicht möglich ist.

Am 26. Mai feiern wir das Fest der Auffahrt oder Himmelfahrt Christi. Die meisten feiern das Fest nicht bewusst. Es lässt sich irgendwie gar nicht begreifen. Da ist uns Weihnachten näher. Eine Geburt haben viele schon erlebt, aber eine Himmelfahrt? Und doch behaupte ich, dass wir es alle feiern, wenn auch unbewusst. Es steckt in den Voraussetzungen, von denen wir leben. Mit der Auffahrt kommt ein Weg ans Ziel. Der Schrei der Opfer wird erhört. Das verletzte Recht wird geheilt. Das Opfer, das am Boden liegt, wird aufgerichtet. Er wird zur Rechten Gottes gesetzt, auf den Richtstuhl, damit Recht geschehe. So wird Vertrauen wieder hergestellt, die Verletzung kann heilen. Leben wird wieder möglich.

 

Aus Notizen 2001
Bild Auffahrt, um 1200, Schweden