Ein Zipfel

Unsere Tochter lebt für einige Monate am andern Ende der Welt. Geht es ihr gut? Meine Phantasie füllt die Lücken, wenn ich nichts höre, mit Bildern. Ich möchte ihr einen Brief schreiben. Ich möchte ihr begegnen. So kann ich bei ihr sein. Wie kann ich sie ermutigen? Wie umarmen und ihr das Gefühl geben, dass sie aufgehoben und geborgen ist, was immer geschieht?

Ich erinnere mich, was mir geholfen hat, auch in schwierigsten Situationen. Es war nicht ein Hinausgehen aus den Problemen, so dass ich verschont geblieben wäre von dem, was ich vor mir sah. Es war ein Hineingehen in das, was vor mir war (die Welt musste nicht anders werden, ich konnte annehmen, was war). Es war ein Hineingehen, im Vertrauen auf Gott und seine Gegenwart.

So konnte ich auf die Aufgabe zugehen. Wenn ich davor zurückschreckte, habe ich mich im Gebet vor Gott eingefunden, ich habe alles ihm übergeben, was mich beschäftigte, meine Angst, meine Sorgen, aber auch meinen Dank für viel Schönes. So konnte ich mich gehalten und geborgen fühlen und fand den Mut und die Freude, um vorwärts zu gehen.

Ein Zipfel
Und was kam, das war das Geschehen, wie es im Gebet begonnen hatte, es gehörte noch halb zum Gebet. So wie beim Aufwachen die ersten Gedanken noch halb dem Traum angehören. Und das Vertrauen zu Gott ist hinübergegangen in ein Vertrauen zu den Menschen, die mir begegneten. Und ich konnte ihnen anders begegnen.

Es war ein Handeln wie es sich einstellt an einer Ecke das Daseins, wo ein Stück des Reich Gottes schon angebrochen ist. Es war Handeln, das Neues möglich machte. Das unter dem Vertrauen stand, dass es ans Ziel führt. Dass auch mein Leben «ankommt», dass es nicht verloren ist, wie ich manchmal denke.

Es war nur ein Zipfel, den ich zu fassen kriegte, aber es fühlte sich an wie bei jener Frau, die Jesus von hinten anfasst. «Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur seine Kleider berühre, werde ich gerettet.» «Er aber sagte zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden.» (Mk 5,28ff) Der Glaube ist es, der weiterhilft. Das Vertrauen, mit dem wir vorwärts gehen, schliesst Türen auf.

 

Foto von Yaroslav Shuraev, pexels