Der Weg Christi, mythologischer Teil

Himmel- und Höllenfahrt?

Immer wieder ist es mir ein Bedürfnis, den Weg Christi zu meditieren, nicht nur seinen Weg auf dieser Welt, sondern auch das, was von der Theologie als Mythologie ausgeschieden worden ist. Anders als die Fachtheologen finde ich tiefe Befriedigung darin.

Diese Geschichten antworten auf Fragen. Sie antworten nicht, wie die Wissenschaft das tut, und nicht, wie die tätige Praxis das tut. Aber sie füllen mit ihrer Erzählung eine Lücke, die die Wissenschaft und die Praxis nicht füllen können.

Wirklichkeit
Sie liegen eine Etage tiefer oder höher, wenn man so will. Es erinnert an Traumsprache oder Märchensprache, an Erzählungen aus unvordenklicher Zeit. Hier wird „alles“ erzählt, was uns angeht. Diese Erzählungen führen die Welt so vor Augen, dass Grenzpfähle sichtbar werden und ein Weg sich abzeichnet. Sie geben der Wirklichkeit eine Struktur, entsprechend den Bedürfnissen des Menschen. Sie ordnen, was „es gibt“ so, dass es „begegnet“ auf dem Weg des Lebensvollzugs.

Sie geben ihm ein Gesicht, sodass er sich „gegenüberstellen“ kann. Sie bereiten alles, was ist, war und kommt, so auf, dass es „entgegentritt“ in der Gegenwart. Sie erlauben die Konzentration, das Gebet, das Finden einer Haltung, sei es am Morgen zum Aufstehen, sei es am Mittag im hellen Tag, sei es am Abend zum Abschliessen und Anvertrauen.

Sie fassen die Wirklichkeit – nicht in eine universelle Formel zu ihrer Berechnung und technischen Ausbeutung – aber in ein „Du“. Das entspricht der menschlichen Selbstwerdung. An diesem Du lernt der Mensch sich selber verstehen, erst in den Repräsentanten, die es annimmt in Vater und Mutter, dann den Geschwistern und Freunden. Dieses Du wird gesucht und immer wieder ein Stück gefunden in einem Liebespartner, aber es findet die Vollendung erst in Gott: wenn der Mensch sich die ganze Wirklichkeit gegenüberstellt.

Lebenspraxis
Die Geschichten zeigen ihm die Wirklichkeit als zugänglich, zugewandt, wie Vater und Mutter, wie einen Liebespartner. Sie zeigen ihn als ein „Du“, verlässlich und gegenwärtig. Sie zeigen ihn als Begleiter und Helfer. Er steht am Anfang des Wegs und auch am Ende. Er ist Schöpfer und Erlöser. Er ist die Antwort, wenn ein Mensch fragt nach seinem Leben-Können. Er ist Adressat für Dank und Bitte. Er ist der Name für Schönheit, Glück und Erfüllung. Er ist der Name, der angerufen wird, wenn nichts mehr da ist. Er ist der Name, der hindurchträgt durch Not und Tod.

Stichwort: „Historisch“ und „mythologisch“
In der kommenden Passionszeit erinnert man sich, wie Christus gelitten hat und gestorben ist. Das ist uns zugänglich auch als historischer Bericht. Wie ist es aber, wenn von Auferstehung die Rede ist, von Himmelfahrt? Die Feste von Ostern und Auffahrt reden» mythologisch» wie antike Göttergeschichten. Das ist den meisten Menschen heute fremd geworden. Erst recht Berichte von seiner «Fahrt in die Unterwelt». Darin steckt aber viel menschliche Erfahrung. Traumatisches Erleben kann sich darin wiedererkennen. Kein Wunder haben Fantasy-Geschichten eine ungeheure Popularität. Es ist schade, dass Kirche und Theologie darum einen Bogen machen, seit Rudolf Bultmann 1941 das Programm der «Entmythologisierung» aufgestellt hat. Sie vergeben sich einen Weg zum Innern des Menschen und machen die Verkündigung blass und fantasy-los. Es gäbe wohl auch einen theologisch verantworten Weg, mit der «Fantasy» in der Bibel umzugehen.

 

Aus Notizen 2014
Bild «Höllenfahrt Christi». Duccio di Buoninsegna, Christ in Limbo (Maestà), Siena