Im Wilden Osten

Wir haben den Film «Wilde Fields» gesehen. Er spielt in der Ukraine, nach 2014, als der Krieg im Süden und Osten begonnen hatte. Der Film zitiert einen „Western“, spielt aber im Osten und sagt damit: Das Recht ist noch nicht angekommen. Hier gilt das Faustrecht. Es gewinnt, wer den Revolver schneller ziehen kann.

Es ist eine Art «Wildost-Film». Aber trotz all der ironischen Zitate, über die man lachen möchte, es erstickt einem im Hals. Man findet sich in einer Anarchie wieder. Der Zusammenbruch der Staatsmacht, der „Failed State“, ist hier keine Angstvorstellung, wie sie bei uns aufgestiegen ist angesichts der Entwicklung in vielen Weltgegenden, es ist Realität. Das Ruder haben «War Lords» übernommen, mafiaähnlich organisierte Banden, die sich mit Gewalt holen, was sie brauchen oder haben möchten.

Die Tankstelle
Objekt der Begierde ist eine Tankstelle, Symbol für all das, was die nachmaligen Oligarchen nach der teils kriminellen Privatisierung des Sowjetreichs zusammengerafft haben, Symbol für die Werte, die noch da sind und die man sich unter den Nagel reissen kann, Symbol für all das, was in der Ostukraine an Werten noch da ist und was Russland sich aneignen will, wobei die Grenze zwischen staatlichen und privaten, kriminellen Interessen fliessend sind. Der Ober-Gangster im Film fährt in einem Zug der Grenze entlang und organisiert die Raubzüge – ein ironischer Kommentar zur „Sammlung der Erde“, womit die alten Zaren einst Russland gebildet und ihr Reich nach Asien und Europa ausgeweitet haben.

Fortgehen oder bleiben
In der Diskussion – der Film wurde im Rahmen der Reihe Psychologie und Film gezeigt – wurde die «Männerwelt» angesprochen. Diese Kultur, die «Helden» hervorbringt und «Feiglinge», die bei uns schon lange ausgestorben ist, empfand ich nicht als ein Produkt der männlichen Gender-Realität, sondern als Folge des Krieges, wo jetzt plötzlich solche Werte wieder gefragt und geschätzt wurden: Männer, die nicht davonlaufen, die dableiben, die sich stellen, die für ihre Familien einstehen und ihre Lebensgrundlage verteidigen.

Fortgehen oder bleiben, das war die Frage des Films an den jungen Mann und Tankstellen-Besitzer, das war die Frage am Anfang des Ukrainekriegs, als junge Männer noch ins Ausland ausreisen konnten, um sich dort eine Zukunft aufzubauen, und andere freiwillig zurückkamen, um sich für die Armee registrieren zu lassen.

Es ist eine dunkle Welt, die da vor Augen gestellt wird: mit Krieg, Gewalt, Unterdrückung, mit Versagen von ganzen Staaten, Kriminalität bis in höchste Schichten und mafiöser Bereicherung. Die Frage, wie verhalte ich mich?, wird auf eine allerhöchste Spitze getrieben. Der Film zeigt die Gefährdung, aber auch, was den Menschen hier hilft: die Solidarität, das Einander-Beistehen, das Dableiben.

 

Foto von isaac berrocal bravo, Pexels

Der FilmThe Wild Fields», Originaltitel: «Dike pole», von Yaroslav Lodygin,     stammt  aus dem Jahr 2018. Eine Version mit deutschen Untertiteln ist 2023 erschienen.