Dreifacher Advent

Der Gegenwärtige, auf den wir warten, der schon gekommen ist

Wie können wir auf Gott warten, wenn er schon gekommen ist? – Wie kann Gott da sein, wenn die Welt noch im Argen liegt? – Fragen zum Advent

Jedes Jahr erwarten wir im „Advent“ die „Ankunft“ Gottes. Aber ist er nach der Aussage des Glaubens nicht in Christus schon gekommen? Ist er nicht auch „da“, wenn ich zu ihm bete? Die kirchliche Tradition spricht von einem „dreifachen Advent“. Sie unterscheidet einen Advent in „Memoria“ (in Erinnerung an sein Kommen in Jesus Christus), einen Advent in „Prophetia“ (in Erwartung seiner endgültigen Wiederkunft am Ende der Zeit) und einen Advent des „Mysteriums“: Das ist seine Gegenwart „jetzt“ im Heiligen Geist.

Der Herrscher kommt
Das Bild zeigt die „Ankunft“ Alexanders des Grossen und seinen Einzug in die Stadt Babylon (gemalt vom französischen Hofmaler Charles le Brun).

Im Hintergrund der biblischen Advents-Vorstellung stehen nicht nur die Erwartungen des Alten Testaments und die Verheissung des Messias. Das Wort Advent stammt aus der Antike. Es meint das Kommen des Königs zu seiner Stadt. „Adventus“ ist der erste Besuch des Herrschers in seiner Stadt.

Das ist mit Heils- und Segens-Erwartungen verbunden: Geplagte hoffen, dass er ihnen als Richter Recht verschaffen wird, Straftäter hoffen auf Begnadigung, Würdenträger hoffen auf Ernennung oder Beförderung.

Eine eindrückliche Illustration dazu liefert die Odyssee, der Bericht von der Heimkehr des Odysseus, des Königs, in seine Stadt: Sie zeigt, wie er Recht schafft, wie er Gericht übt, wie er Treue belohnt und Übeltäter bestraft, wie alles ein gutes Ende nimmt.

Die Erwartung
Das zeichnet sich auch ab im Neuen Testament. Da wartet man im Advent nicht nur auf die Geburt Christi an Weihnachten. Da wird auch erzählt, wie der erwachsene Jesus nach Jerusalem geht und in die Hauptstadt einzieht. Und die Menge zieht ihm entgegen wie einem Herrscher. „Und viele breiteten ihre Kleider auf der Strasse aus; andere rissen auf den Feldern Zweige von den Büschen ab und streuten sie auf den Weg. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt.“ (Mk 11,1f)

Karrieren und Ämter
Nur vor der Erwartung dieser baldigen Herrschaft ist verständlich, warum sich die Jünger schon über die Ämter streiten, die sie ausüben wollen.

„Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!“ (Mk 10, 35)

Die Enttäuschung
Hier wird erwartet, dass Jesus Christus in der Hauptstadt die Herrschaft aufrichtet. Auf dem Weg streiten sich die Jünger schon um die Ämter und wer zur Rechten oder Linken von ihm sitzen darf. Das ist die antike Vorstellung vom Adventus, vom König, der zu seiner Stadt kommt und seine Herrschaft aufrichtet.

Das wird im Neuen Testament aber gleich gebrochen, im Wissen, wie es weiterging. Er hat seine Feinde nicht besiegt, oder auf andere Weise, als man das erwartete. Darum sagt Jesus zu den streitenden Jüngern: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Grossen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch gross sein will, der soll euer Diener sein.“ (Mk 10, 43f) Das ist der entscheidende Unterschied, der erklärt, warum der Advent im Christentum so anders aussieht als in der Welt, wo es um politische Erwartungen geht.

Der Skandal
Im Zentrum des Neuen Testamentes steht das Kreuz. Es ist ein Skandal für alle Erwartung auf weltliche Herrschaft. Wie ist das möglich, dass Gott kommt und nicht siegt? Alle Hoffnung auf ihn scheint enttäuscht.

Darum haben die Sieger eine Tafel ans Kreuz gehängt: INRI, Jesus Christus, rex Judaeorum. Das ist Jesus Christus, König der Juden, heisst das. So geht es allen, die sich gegen Rom auflehnen.

Die Anhänger haben das Zeichen übernommen als Zeichen für ihren Glauben, aber umgedeutet. Ja, er ist ein König, aber anders. Er hat die Welt besiegt, aber nicht mit Waffen. Seine Herrschaft wird kommen, sichtbar. Und sie ist jetzt schon da, verborgen. Wer glaubt, hat daran teil, wer glaubt, der handelt schon danach.

So lebt der Gläubige zugleich in der Welt und im Reich Gottes. Er hat Anteil an der Herrschaft Christi, und lebt doch in dieser Welt.

Alexander und Christus
Das Gegenbild zum triumphalen Einzug Alexanders des Grossen in Babylon ist der Einzug Jesu auf dem Esel in Jerusalem. (Davon sind viele Bilder im Internet zu finden.)

Hier wird in Form einer Geschichte erzählt, wie Gott bei uns ankommt, bei jedem einzelnen. „Dann kam er nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich. Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigen–Baum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste.
 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein. Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.
Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 19,1f)

Nachwort für Grübler

Auf dreifache Art erzählt man die Ankunft Gottes. Wie verhalten sich diese drei Ankünfte zueinander? So könnte ein Grüber fragen.

Ist der historische Advent die Wurzel für alles andere? Beginnt nicht alles mit dem „historischen Jesus?“ Kann man das ganze also reduzieren auf Geschichte? – Aber dass wir Jesus als „Christus“ erkennen können: dass in ihm Gott zu uns kommt, das setzt ja schon voraus, dass er in der Welt gegenwärtig ist.

So setzt der historische Advent den mystischen Advent voraus. Und statt alles auf „blosse Geschichte“ zu reduzieren, wie es unserem modernen Denken näher ist, wird diese durch die Ankunft Gottes aufgeladen mit „Metaphysik“. Weihnachten ist nicht mehr nur ein Datum im Fest-Kalender, es wird der Beginn eines neuen Weltzeitalters, in dem sich nicht nur die menschliche Geschichte verändert, sondern die ganze Verfassung der Wirklichkeit.

Oder ist der Prophetische Advent zuerst? Kann man die „Ankunft Gottes“ also reduzieren auf die Fragen von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und auf die Liebesforderung? Dazu gibt es viele Stellen in der Bibel.

In der Offenbarung sagt Gott: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung.“ (Off 1,8 )

Die Bibel schneidet die Spekulation ab. Wie Gott bei uns ankommt, das ist keine mögliche Frage für die Spekulation. Für unser Interesse am richtigen Leben heisst es, dass wir bereit sein sollen für seine Ankunft. Dass wir auf seine Ankündigung Antwort geben, wie es Jesus Christus in zahlreichen Gleichnissen darlegt: Dass wir unsere Talente nicht vergraben; dass wir uns als Stellvertreter verstehen für den Hausherrn, so lange dieser abwesend ist; dass wir bereit sind, wenn der Bräutigam kommt und nicht einschlafen.

Es geht darum, dass wir diese existenzielle Frage nicht fallen lassen und vergessen: Gott kommt, unsere Hoffnungen werden wahr. Es gibt ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden, wir müssen am Zusammenleben der Menschen nicht verzweifeln, unsere Motivation nicht fallen lassen.
Wir sind nicht wie Menschen, die keine Hoffnung haben. In unserem Leben und Glauben, in unserem Lieben und Verhalten nehmen wir es schon vorweg. So freuen wir uns auf sein Kommen – in diesem Advent und allen, die noch kommen sollen!