Neu anfangen!

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Sieben Worte hat Christus am Kreuz noch gesprochen.

 

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Das ist ein Wort, wie man es aufschnappt aus der Bibel. Man kann es mit sich tragen. Auch wenn man sonst nichts wüsste von der Bibel – hier ist das ganze Evangelium. Mich hat es lange begleitet. Es hat mir Trost und Hoffnung gegeben.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Es sind nur zehn Worte, aber sie sind wie eine Arche Noah, in der die Menschheit gerettet wird:
Es gibt Vergebung! Auch wenn alles „verbockt und verkachelt“ worden ist im Leben – es gibt diese Möglichkeit, sich zu versöhnen, einen neuen Anfang zu machen.
Alles kann wieder neu werden. Es ist nichts verloren!

Vergebung: Die Gläubigen, die die sieben Worte Christi aus den verschiedenen Evangelien zusammenstellten, haben dieses Wort an den Anfang gestellt. Es ist das erste Werk der Erlösung.

Erlösung
„Erlösung“, dieses Wort kennt man sonst nur aus den Märchen. Da wird ein Kind in einen Glasberg eingeschlossen, da wird ein Mensch in Stein verwandelt. Und Erlösung heisst, sie werden aus dem Gefängnis befreit und aus dem Stein zum Leben verwandelt. Aber was ist der Schlüssel, der ein solches Gefängnis öffnen kann? Wo ist die Kraft, die einen Stein erweicht?

Wenn wir als Erwachsene Märchen hören, sehen wir unwillkürlich auch die Lebensgeschichte, die hinter solch einem Schicksal steht: Wie viel Angst muss man ausstehen, schon in der Kindheit, bis das Leben ganz versteinert? Wie oft muss man sich ducken und tot stellen, bis man den Schmerz nicht mehr fühlt? Der Körper hält die Erinnerung fest, auch wenn das Bewusstsein nichts mehr davon weiss. Später steigt die Erinnerung wieder auf, als Depression, als Gefühl, bei lebendigem Leib tot zu sein.

Und der Glasberg im Märchen – wie fühlt sich ein Leben an, das wie unter Glas gelebt wird? Der Mensch sieht alles, nimmt an allem teil, aber er kann nicht zu den Menschen gelangen. Und alles hat einen seltsamen Anstrich von Unwirklichkeit. Das Leben ist wie unter Glas gelebt.

Es gibt wirkliche Schuld im Leben – sie kann ein Leben versteinern, sie kann es wie unter Glas ausschliessen -, es gibt wirkliche Schuld, und es gibt Schuldgefühle. Aber die Befreiung ist oft nicht weniger schwer. Vielleicht hat sich ein Mensch in der Kindheit zu viel aufgeladen. Er wollte der Mutter helfen, dem Vater, er wollte die Eltern versöhnen. Das Kind denkt, es sei schuld, dass die Eltern auseinander gehen.

Es sind vielleicht unberechtigte Schuldgefühle – und trotzdem, wie schwer ist es, wieder davon wegzukommen, wenn man sich ein ganzes Leben lang klein gemacht hat! Wie schwer ist es, Optimismus und Lebensfreude wieder zu lernen, wenn man ein halbes Leben lang im Glasberg gelebt hat!

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Es gibt Vergebung, es gibt einen neuen Anfang. Christus redet nicht psychologisch, aber er redet unmissverständlich. Christus wird verfolgt, im Stich gelassen. Sogar die, denen er geholfen hat, kehren sich gegen ihn. Da ist buchstäblich keiner, der ihn nicht verraten hätte. Sogar Petrus, dem er die Kirche anvertraut, hat ihn in der Nacht drei Mal verraten. Trotzdem: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Niemand muss sich ausgeschlossen fühlen, wenn Christus sogar seinen Peinigern vergibt!

 

Aus Notizen 2003
Bild: Meister des Schöppinger Altars